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Steile Welt (German Edition)

Steile Welt (German Edition)

Titel: Steile Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Stauffer
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ihnen her. Man liess die Schmuggler bei sich im Heustock übernachten, und dann kam es vor, dass ein Kind seinen Mund nicht halten konnte, wenn die Zöllner es auf dem Schulweg anhielten und es ausfragten. So musste manch einer ein bis zwei Tage ins Gefängnis, weil er die Schmuggler bei sich im Haus hatte schlafen lassen. Aber das war einem lieber, als auf den Reis zu verzichten.
    Bevor mein Mann Arbeit im Welschland fand, war er Holzer. Die schlugen das Holz am gegenüberliegenden Hang. Für die Dachbalken und Sparren und für die Bodenbretter der Häuser wurde immer Holz benötigt. Was hier nicht gebraucht wurde, wurde auf Karren von Pferden gezogen und hinuntergeführt. Es war eine schwere Arbeit. Auch eine gefährliche. Am steilen Hang mit der Axt einen dicken Baum zu fällen, war nicht einfach. Das wurde zu zweit gemacht. Wenn die schweren Stämme von den Ästen befreit waren, liess man sie zum Fluss hinuntergleiten. Auf der anderen Seite zog man sie wieder bis zur Strasse herauf, an Seilwinden. Erst später spannten sie Kabel über den Fluss, und die Stämme wurden daran aufgehängt und an Rollen auf die andere Seite gezogen. Die Bretter wurden von Hand gesägt. Ganze Stämme der Länge nach. Zwei Männer an der Säge, hin und her, stundenlang. Und gerade musste das werden. Wegen dem Rücken hörte er dann auf, mein Mann. Von da an war er nicht mehr viel zu Hause. Immer an Weihnachten und ab und zu am Wochenende. Aber da hat er meistens geschlafen. Weil er wochenlang gearbeitet hatte, manchmal zwei Schichten.
    Geschlafen wurde auf Säcken, die wir mit trockenem Laub füllten. Matratzen bekamen wir erst vom Hilfswerk, von dem wir auch Kleider und Schuhe für die Kinder erhielten. Für diese Sachen reichte das Geld nie aus. Man nahm, was man bekam. Wählerisch durfte man nicht sein. Hauptsache, die Kinder hatten warm. Ich hatte ja Glück mit meinen Kindern. Sie waren gesund. Ich habe nur eines verloren, aber das war noch ganz klein. In anderen Familien starben Kinder bei Unfällen oder Stürzen. Ich weiss noch, wie an einem regnerischen Tag einmal nur noch der Regenschirm eines Mädchens gefunden wurde, welches die Ziegen heimholen sollte. Am dritten Tag fand man sie dann unten im Bachbett. Ich sehe das Bild noch vor mir, wie ihr Vater sie in seinen Armen herauftrug. Ein Bündel aus nassen Röcken. Jedes Kind, das geboren wurde, war ein Segen und brachte gleichzeitig Sorgen. Wieder jemand mehr, der satt werden musste. Mein erstes Kind war ein Mädchen. Als ich wieder in Erwartung war, sagte ich zu meinem Mann, es würde ein Junge werden. Er glaubte mir das, obschon man das in dieser Zeit ja überhaupt nicht wissen konnte. Als es dann wieder ein Mädchen wurde, freute er sich trotzdem. Dieses Mädchen war so wild wie alle sechs folgenden Buben zusammen. Den letzten, den musste ich nach seiner Geburt im Spital lassen. Der war so winzig, und ich hatte keine Milch, sodass sie ihn noch ein paar Wochen behielten. Kündigte sich die Geburt am Abend an, so riefen wir die Hebamme, und die anderen Kinder mussten unten im Nachbarhaus schlafen. Wenn sie am Morgen zurückkamen, dann war ein neues Geschwisterchen da. Manchmal auch, wenn sie von der Schule kamen. Sie merkten nie, wenn ich wieder schwanger war, sagten dann nur, wenn sie es schreien hörten: Ach nein, nicht schon wieder eines. Sie wussten nicht, woher die Kinder kamen. Über diese Dinge wurde nicht geredet. Nur die letzten beiden Kinder kamen im Spital zur Welt. Am Schluss war es zu riskant, daheim zu gebären, ich war selber nicht mehr so bei Kräften. Darum half mir die Hebamme nach der Untersuchung beim zweitletzten, als die Wehen einsetzten, in meine guten Kleider und setzte mich ins Postauto. Als ich dann unten war, dauerte es nicht mehr lange, bis das Kind da war. Da waren die Väter noch nicht dabei bei der Geburt. Das war Frauensache. Abgesehen vom Arzt hat mich kein Mann je nackt gesehen.
    Zwischen meiner ältesten Tochter und dem jüngsten Sohn lagen zwölf Jahre. Wie gut, dass die beiden Grossen Mädchen waren. Sie haben ihre jüngeren Brüder erzogen. So hatte ich die Hände frei für die Arbeit. Nonna hatten wir keine im Haus. Das hätte auch manches erleichtert. Vor allem im Sommer, wenn ich gleichzeitig auf den Monti sein und hier den Garten machen sollte. Das ging schlecht zusammen. Darum blieben wir das ganze Jahr über in dem einen Haus im Dorf. Die Ziegen weideten oberhalb, und die Kinder mussten sie abends melken gehen. In einem Nachbarhaus

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