Steilufer
mitleidigen Blick an und hob die Brauen. »Dr. Erich Burmester war ein verlockendes Angebot, dass sich leider als Fehlinvestition herausgestellt hat.«
Unvermittelt brach die alte Frau in ein lautes Lachen aus – sie schien sich prächtig zu amüsieren und zu erwarten, dass die anderen mit einstimmten. Angermüller war fasziniert von ihrer natürlichen, offenen Art, andererseits fand er es ungewohnt, von einer älteren Dame aus den besseren Kreisen der Stadt so eine unverblümt negative Charakteristik ihres Ehemannes präsentiert zu bekommen und er konnte nur genauso verlegen grinsen wie Jansen.
Oker kam mit einem Tablett aus dem Haus und stellte einen Krug und vier Gläser auf den Tisch.
»Sie nehmen doch ein Glas selbst gemachte Zitronenlimonade? Oker stellt sie nach meinem alten Familienrezept her: Sie ist sehr erfrischend!«
Oker nahm ganz selbstverständlich am Tisch Platz und goss allen Limonade in die Gläser. Das eisgekühlte Getränk, in dem Zitronenscheiben und Melisseblättchen schwammen, schmeckte köstlich in seiner perfekten Mischung aus süß und sauer.
»Mmh! Das tut gut und schmeckt wirklich ausgezeichnet!«, lobte Angermüller.
»Nicht wahr! Es geht eben nichts über unsere alten, überlieferten Rezepte! Früher war Kochen eine meiner Lieblingsbeschäftigungen in der Freizeit, leider bin ich dafür nicht mehr kräftig genug.«
Angermüller war zu diskret, um nach dem Leiden zu fragen, das sie in den Rollstuhl gezwungen hatte, doch Frau Burmester wusste auch so, was ihre Gesprächspartner bewegte.
»Eine äußerst seltene Erkrankung der Nerven, unheilbar, und dass ich noch lebe, ist ganz erstaunlich, sagen die Ärzte. Ich war Anfang 40, als es anfing, und sie gaben mir noch fünf Jahre. Wie sie sehen, habe ich schon eine ganze Ecke mehr geschafft. Ich bin nicht unzufrieden, denn durch meine Krankheit habe ich viel gelernt: Geduld zum Beispiel und Demut. Ich glaube, ich war ziemlich oberflächlich früher. Aber das ist ein anderes Thema! Jedenfalls, wenn ich Oker sage, wie man bei uns in Schleswig-Holstein kocht, dann kriegt er das ganz gut hin! Heute gibts Butt, Pellkartoffeln und einen schönen frischen Kopfsalat!«
»Muss ich ja auch können, bin schließlich ein echter Lübecker!«, warf Oker mit deutlich norddeutsch gefärbtem Akzent ein.
»Stimmt! Hast völlig recht, mein Junge!« Sie klopfte ihm freundschaftlich auf die Hand. Oker zeigte ein charmantes Lächeln und erhob sich. »Und jetzt muss ich in die Küche!«
Ille Burmester sah ihm hinterher.
»Ich hatte schone eine Menge Pflegerinnen und Pfleger, aber dieser Junge ist der beste von allen! Er hat Humor, eine positive Weltsicht und – ja, er weiß, was Nächstenliebe ist. Oker ist seit zwei Jahren bei mir und mein Leben ist heller geworden seither.«
»Oker? Ist das ein türkischer Name?«
»Okers Eltern sind Türken. Er ist in Lübeck geboren und aufgewachsen. Er fühlt sich hier zu Hause.«
»Guten Abend! Oh, du hast Besuch.«
Erich Burmester kam schnellen Schrittes den Weg zur Terrasse hoch. Er war bekleidet mit einem weißen Polohemd, dunkelblauer Leinenhose und blauen Bootsschuhen, in der Hand hielt er ein weißes Basecap – ganz der sportlich-elegante Gentleman.
»Nein, ich nicht. Es ist dein Besuch, Erich.«
Erst jetzt erkannte Burmester, wer da auf seiner Terrasse saß und wenn er überrascht war, so war es ihm jedenfalls nicht anzumerken.
»Die Herren von der Bezirkskriminalinspektion mal wieder.«
Er ging zu seiner Frau und beugte sich zu ihr herunter, um ihr einen angedeuteten Kuss auf die Wange zu geben, den sie überrascht und distanziert entgegennahm, erst dann begrüßte er die beiden Beamten und nahm ebenfalls am Gartentisch Platz.
»Dann hast du ja nette Gesellschaft gehabt, meine Liebe, und brauchtest dich nicht zu langweilen.«
Ille Burmester legte den Kopf schief und schaute ihren Mann mit unbewegter Miene an.
»Das wäre ja etwas ganz Neues, dass dich das interessiert! Aber sei versichert, ich langweile mich nie. Oker ist ein sehr interessanter Gesprächspartner, wenn ich Unterhaltung brauche. Du musst hier keine Vorstellung als besorgter Ehemann geben, Erich.«
Sie sagte dies völlig gelassen und sicher nicht zum ersten Mal und Burmester ging einfach über die Bemerkung seiner Frau hinweg, auch bestimmt nicht zum ersten Mal.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, wandte er sich mit einem verbindlichen Lächeln an Angermüller und Jansen.
»Wir hätten da noch ein paar Fragen, unter anderem zur
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