Steilufer
dingfest gemacht und in ein paar Tagen würde das Opfer selbst erzählen können, was in jener Nacht passiert war. Nach der Lage der Fakten wurden die Ermittlungen gegen Priewes Gang jetzt federführend von der Ermittlungsgruppe für rechtsextrem motivierte Delikte beim Staatsschutz übernommen. Bei einer genauen Durchsuchung von Priewes Wohnung waren die Angermüller bereits bekannten Beweismittel sichergestellt worden sowie eine Menge an Propagandamaterial, verfassungswidrigen Kennzeichen, verbotener Musik. Leider war nichts da-
runter, das ihn in Verbindung mit der Leiche vom Steilufer gebracht hätte.
Trotzdem hatte sich auch Jansen von der Siegerlaune der Kollegen anstecken lassen, während Angermüller dafür nicht den geringsten Anlass sah. In ihm herrschte das schale Gefühl der Unvollkommenheit vor, da sie ihre Aufgabe, den Mörder des Toten vom Steilufer zu finden, bis heute nicht gelöst hatten. Priewe und seiner Truppe eine rechtsextremistisch motivierte Gewalttat nachzuweisen, betrachtete er nur als ein Abfallprodukt ihrer eigentlichen Ermittlungsarbeit. Angermüller war nach wie vor überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen beiden Taten geben musste. Seit klar war, dass sämtliche blaue Schoten aus der Lübschen Seglervereinigung stammten, in der Burmester dem Vorstand angehörte und dass selbiger seit Längerem schon Verbindung zu Maik Priewe hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Man war übereingekommen, außer Jansen und Angermüller nur noch ein Team an der Mordsache vom Steilufer arbeiten zu lassen.
Während die anderen noch über eine Pressemitteilung diskutierten, die herausgegeben werden sollte, plante Angermüller im Anschluss an diese Sitzung einen Besuch bei Burmester zu machen. Er hoffte, auch Jansen von dieser Idee überzeugen zu können. Er legte sich seine Argumente zurecht, da spürte er sein Handy in der Hosentasche vibrieren.
Es war seine Schwester und er nutzte die Gelegenheit, sich auf den Flur zurückzuziehen. Seiner Mutter ging es viel besser. Er ließ sich die Nummer im Krankenhaus geben und rief sofort dort an. Seine Mutter schien erstaunt, von ihm zu hören.
»Georg, du? Was ist denn los?«
»Bei mir nichts Besonderes, aber du bist im Krankenhaus! Wie gehts dir denn?«
Wie nicht anders zu erwarten, fühlte seine Mutter sich völlig gesund und sah überhaupt nicht ein, dass sie nicht gleich wieder heimgehen durfte.
»Mir geht es doch wieder gut! Unkraut vergeht net, des weißte doch, Georg!«
»Aber Mama, die Ärzte werden schon wissen, was gut für dich ist. Lass dich doch noch e bissle verwöhnen.«
»Verwöhne! Den ganzen Tag im Bett liegen – des macht mich krank! Im Garten sind die Johannisbeeren reif, die Kirschen müssen eigmacht wern. Ich darf gar net dran denken!«
Seine Mutter sprach den unverfälschten Dialekt seiner oberfränkischen Heimat und sobald er mit ihr telefonierte, klang auch er wieder vollkommen anders.
»Dann denk halt net dran! Schau e bissle Fernsehen.«
»Da gibts eh nix Gscheits!«
Jetzt wusste er wieder, warum er so selten anrief. Auch wenn seine Mutter gesund war, die Telefonate mit ihr nahmen meist einen wenig befriedigenden Verlauf. Am besten ging es noch, wenn er ihr etwas erzählte, sei es über das Wetter oder die Kinder, aber sobald sie in den Austausch von Meinungen rutschten, wurde es heikel. Um sie aufzumuntern, erzählte er ihr, dass er voraussichtlich im Oktober zu Besuch kommen würde, was sie zwar aufmerksam zur Kenntnis nahm, aber ob sie sich darüber freute, war ihr nicht anzumerken. Angermüller stand im Flur, auf dem es mächtig zog, da überall auf der Etage die Fenster gekippt waren und er spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den nass geschwitzten Rücken seines Polohemdes lief. Es war an der Zeit, das Gespräch zu beenden, und er erwähnte, dass er vom Handy aus telefonierte. Davor hatte seine Mutter mächtigen Respekt, vor allem vor den Gebühren, von deren Höhe sie keine Ahnung hatte, und sie verabschiedeten sich.
»Ich ruf’ dich morgen wieder an!«
»Brauchste net.«
So war seine Mutter. Bis heute wusste er nicht, ob er ihr wichtig war, ob sie sich freute, wenn er sich meldete und was sie von ihm als ihrem Sohn erwartete. Aber was Astrid erwartete, das wusste er. Also rief er sie sogleich auf ihrem Handy an, um mitzuteilen, dass er es nicht pünktlich zum Abendessen schaffen würde. Sie schien erstaunt über seinen Anruf, aber gleichzeitig auch erfreut. Na ja, ist doch gar nicht so
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