Steilufer
sich einfach nicht unterordnen und wat er nich im Kopf hat, das hat er in den Fäusten, er schlägt ziemlich schnell zu.«
»So ganz doof kann er nicht sein: Er hat doch diese Truppe um sich geschart, immerhin als unumstrittener Häuptling!«, warf Jansen ein.
»Als er gemerkt hat, dass er in den straff organisierten Nazivereinen nicht Fuß fassen konnte, hat er sich sozusagen ›selbstständig‹ gemacht. Dass er im Knast gesessen hat, macht ihn in seinen Kreisen zu einem echten Helden. Die haben ihn groß gefeiert, als er vor ein paar Wochen rauskam! Und er schafft es auch immer wieder, sich neue Anhänger heranzuziehen. Das sind meist jüngere Leute, viele sind natürlich Schulabbrecher und Arbeitslose, aber auch andere. Die fühlen sich benachteiligt, langweilen sich, wissen nicht, was sie mit ihrer Freizeit anfangen sollen, und er bietet ihnen was an, bis hin zu Randale.«
»Also, einfach nur Schlägereien?«
»Am Anfang steht immer das Saufen, das scheint zum germanischen Übermenschen dazuzugehören. Dann fallen die Hemmschwellen, man sucht sich Opfer: Behinderte, Ausländer, Punks, was grade so kommt. Und wenns passt, dann wird daraus schon mal eine politische Aktion, so wie der Überfall bei dieser Gedenkfeier am Cap-Arcona-Friedhof. Aber der Priewe ist kein intellektueller Führer mit einer Ideologie oder einer Vision, der bedient einfach nur die niederen Instinkte jedes Einzelnen, instrumentalisiert primitiven Fremdenhass, lastet jeden persönlichen Nachteil ›den Ausländern‹ an. Da werden Naziparolen gegrölt und Hakenkreuze getragen, dazu die entsprechende Musik und reichlich Alkohol – mit dieser diffusen Mischung fühlen die sich dann stark und wehe, so ein armer Ausländer kommt in ihre Nähe.«
»Gibt es denn Verbindungen zu den organisierten Rechten?«, erkundigte sich Angermüller.
»Offiziell distanzieren die sich von Leuten wie Priewe. Aber praktisch dienen sie als Fußvolk der Bewegung, bei Demos sind sie durchaus willkommen und sie führen im Grunde nur konsequent das aus, was die anderen predigen.«
»Wir sollten die Truppe auf jeden Fall im Auge behalten.«
»Sehe ich auch so. Diese Schmierereien an dem Restaurant würden durchaus zu denen passen«, stimmte Eichhorn zu.
Jansen sprach aus, was wohl alle im Raum dachten:
»Wir sind noch keinen Schritt weiter gekommen! Solange wir nicht wissen, wer der Tote ist.«
»Trotzdem: Es gibt da einen Zusammenhang zwischen dem verschwundenen Algerier und den Parolen an der Villa. Und fest steht, dass der Tote Nordafrikaner ist, wie Steffen nachgewiesen hat.«
Angermüller versuchte, mit dieser trotzigen Äußerung gegen die sich breitmachende Frustration anzugehen. Aber seine hoffnungsvolle Stimmung, mit der er den Tag begonnen hatte, war geschmolzen wie das Eis in der Sonne. Die Kriminaltechniker hatten ihr Bestes getan, doch die Ergebnisse waren mager. Keine aussagekräftigen Fußspuren, Zigarettenkippen, Faserspuren, weder am Fundort des Rollers noch auf dem Rasen vor der beschmierten Wand der ›Villa Floric‹. Eine Erkenntnis war, dass der Motorroller wohl schon seit der Nacht des Verschwindens von Ferhati dort gelegen hatte und die andere, dass die Farbe, mit der die Parole gesprüht worden war, in jedem Baumarkt der Stadt im Sortiment geführt wurde. Alles nicht sehr erhellend.
»Eine Sache finde ich jedenfalls erfreulich: Die Presse hat sich bis auf den einen Artikel über den Toten vom Steilufer bisher ja absolut ruhig verhalten. Ihr wisst, wie störend das die Ermittlungen beeinflussen kann«, wechselte Eckmann, der ebenfalls zur Sitzung des Teams gestoßen war, das Thema. »Wenns nichts Spektakuläres zu melden gibt, verlieren die heute halt schnell das Interesse, glücklicherweise!«
»Ja! Und gegen so ein Superthema wie die Mordshitze in den bekannten 20 Zentimeter hohen Schlagzeilen kommen wir mit unserem unbekannten Toten sowieso nicht an!«, stimmte Angermüller zu. Die Melodie seines Handys erklang und er fingerte es aus der Hosentasche und ging auf den Flur, um das Gespräch entgegenzunehmen.
»Das war Kiel«, bemerkte er, als er an den Tisch zurückkam. Die Runde sah ihn erwartungsvoll an.
»Der Tote vom Strand ist hundertprozentig nicht Fouhad Ferhati.«
Allgemeines Stimmgewirr erhob sich. Jansen fluchte und haute mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Na, na, was ist daran denn jetzt so schlimm, Kollege?«, rief Angermüller spöttisch in die Runde. »Dann haben wir eben jetzt nicht mehr ein Problem, sondern
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