Steilufer
bieten müssen mit ihren beiden Kindern? Hätte man einen wie Matthias nicht schon früh fördern müssen, um ihn nicht an diese Extremisten zu verlieren?
Angermüller fasste gedankenverloren an sein Kinn, um, wie gewohnt, seinen Bart zu kraulen, doch er fand nur die Stoppeln seiner neuen Dreitagetracht. Er nahm die Hand wieder herunter, straffte sich und versuchte, seine galoppierenden Gedanken zu zügeln. Angermüller, du bist Polizist und du hast einen Mord aufzuklären, vielleicht sogar zwei, sagte er sich. Du musst dich daran gewöhnen, dass du immer nur kitten darfst, was im täglichen Daseinskampf unter den Tisch gefallen ist. Die Ursachen für all die Verbrechen und die Gewalt zu beseitigen, ist nicht deine Aufgabe, die wäre noch weniger zu bewältigen, als wenigstens hin und wieder einmal einen Mörder dingfest zu machen. Gib dich damit zufrieden und mach das Beste draus!
»Matte, so wirst du doch genannt? Was hättest du uns denn anzubieten, um den Staatsanwalt gnädig zu stimmen?«
Verachtung und Trotz lagen in dem Blick, den Matthias Wulff zu Angermüller sandte.
»Die Parolen am Restaurant, das war ich. Ich ganz allein. Und ich würd das immer wieder machen und jetzt sach ich nix mehr.«
Und so war es dann auch. Der junge Mann schwieg eisern und es blieb ihnen nichts übrig, als ihn wieder auf freien Fuß zu setzen, nachdem er seine Aussage unterzeichnet hatte, denn mehr als eine Anzeige wegen Sachbeschädigung und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen würde ihm sein Vergehen nicht einbringen – so eine Hakenkreuzschmiererei erregte zwar Aufsehen in der Öffentlichkeit, war aber von den juristischen Folgen her nur eine Lappalie. Und wahrscheinlich sahen Matthias’ Kumpel in einer Verurteilung eher eine ehrenvolle Auszeichnung denn eine Strafe.
»Und dafür so ein Bohei! Wir hauen uns die Nacht um die Ohren wegen dieser braunen Soße«, stöhnte Jansen, als Matthias Wulff wieder verschwunden war. »Der Tag ist wieder so gut wie gelaufen und wir haben nichts erreicht!«
»Stimmt scho«, nickte Angermüller. »Und mit jedem Tag werden die Chancen geringer, dass wir den schnappen, der den Mann im Schlauchboot auf dem Gewissen hat.«
»Dass dieser Vermisste noch lebt, daran beginne ich auch langsam zu zweifeln.«
»Ich rufe jetzt auf jeden Fall bei Frau Floric an und informiere sie darüber, dass tatsächlich ihr Kochlehrling der Übeltäter mit den Parolen war. Könnte mir vorstellen, dass sie auf seine Mitarbeit in Zukunft verzichten kann«, Angermüller griff zum Telefon. »Vielleicht sollte ich auch gleich mal bei Steffen nachfragen, ob er rauskriegen kann, wie lange das mit der Gesichtsrekonstruktion noch dauert.«
Anna Floric sagte nicht viel zu Angermüllers Mitteilung. Sie schien weniger entsetzt als enttäuscht darüber, dass Matte tatsächlich der Urheber der fremdenfeindlichen Schmierereien war. Als der Kommissar dann seinen Freund Steffen am Telefon hatte, konnte der leider nicht weiterhelfen. Der befreundete Kollege in Bonn war auf einer Tagung und erst am nächsten Tag wieder erreichbar. Doch der Anruf bei Steffen besserte Angermüllers Laune trotzdem nachhaltig.
»Was hältst du davon, wenn ich dich heute Abend in die ›Villa Floric‹ einlade, Schorsch?«
»Ähm, also, viel, wenn du mich so fragst! Aber wie komm ich zu der Ehre?«
»Ich wollte mich schon lange einmal für deine Einladungen revanchieren, schaffe es aber einfach nicht an den heimischen Herd. Und da du jetzt dienstlich die ›Villa Floric‹ kennengelernt hast, finde ich, du hast es verdient, auch einmal dort zu essen.«
»Also, des find ich eine ganz wunderbare Idee!«
»Außerdem habe ich dir was Wichtiges zu erzählen.«
»Dienstlich?«
»Bewahre! Ganz privat!«
»Na schön – ich freu mich auf heut Abend!«
Das Tageslicht wurde unmerklich weniger. Die aufmerksamen Kellner hatten Windlichter überall auf den Tischen verteilt, deren flackernde Flämmchen eine geheimnisvolle Atmosphäre zauberten. Ein zarter Wind strich über die Terrasse hoch über der Lübecker Bucht, ließ sanft Hosenbeine und Hemdsärmel flattern und die Palmen in den großen Kübeln sich leise bewegen. Angermüller, ein Weinglas in der Hand, schaute sich mit verklärtem Blick um, atmete tief ein, als wolle er die ganze Umgebung in sich aufnehmen und war nur noch auf Genießen eingestellt.
»Na, zufrieden bisher?«, fragte Steffen seinen Freund.
Es dauerte einen kurzen Moment, bis der in stille Andacht versunkene
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