Steilufer
Georg Angermüller antwortete.
»Merkt man das nicht? Ich bin ganz verzaubert. Dieser Ort, das Essen: formidable! Ich bin dir wirklich dankbar, dass ich durch dich hierher gekommen bin.«
»Das freut mich!«
Djaffar, der elegante Chefkellner, hatte sie an einen Tisch an der Balustrade geführt, von dem aus man einen wunderbaren Blick aufs Meer hatte. Als sie Platz genommen hatten und sich gegenübersaßen, hatte Steffen seinem Freund als Erstes ein Kompliment zu seinem Dreitagebart gemacht.
»Steht dir wirklich ausgezeichnet! Du siehst um Jahre jünger aus und ich beneide dich!«
Georg freute sich natürlich, auch wenn Steffen maßlos übertrieb, zumal ihm selbst seine 40 Jahre überhaupt nicht anzusehen waren. Dann hatte Steffen in seinem geschliffenen Französisch zwei Kir Breton als Aperitif bestellt. Die Mischung aus einem trockenen Cidre mit einem Schuss Cassis, eiskalt serviert, schmeckte sehr fruchtig und war herrlich erfrischend. Gleichzeitig mit der Speisekarte brachte Djaffar einen Glasteller mit länglichen, rotweißen Radieschen, dazu ein Schüsselchen gelber Butter und einen Korb mit Brot. So einfach dieser Amuse-Geule war, so köstlich mundete die Kombination aus den knackig zarten Radieschen mit der aromatischen Butter und dem nussigen Brot, das nach Koriander duftete.
Da Georg immer auf der Suche nach unbekannten Genüssen war und neugierig auf die bretonische Küche, hatte er als Vorspeise Galette Saucisse gewählt, einen Buchweizenpfannkuchen, in den fein gewürzte Andouille und Apfelscheiben gewickelt waren. Anna Floric hatte ihm von den exquisiten Wurstwaren erzählt, für die ihre Heimat berühmt war und Andouille, eine Kaldaunenwurst, war eine ganz typische bretonische Spezialität. Steffen hatte sich für eine warme Artischocke mit Sauce Vinaigrette entschieden, ein leichtes Gericht und sehr bretonisch, denn auch dieses stachelige Gemüse wird dort in großen Mengen angebaut.
»Ich muss ein bisschen auf meine Figur Acht geben«, hatte Steffen entschuldigend zu seinem Freund gesagt und mit kritischem Blick an seinem hellblauen Polohemd gezupft.
»Steffen! Meinst du das etwa ernst?« Über Fette und Kalorien hatte Georg nun überhaupt nicht nachgedacht, als er die Speisekarte der ›Villa Floric‹ in Händen hielt. Irgendwie fühlte er sich zwar unangenehm berührt, als ausgerechnet der schlanke Steffen das Thema Disziplin beim Essen ansprach, andererseits hätte er es jammerschade gefunden, aus diesem Grund darauf zu verzichten, einmal nach Herzenslust die unbekannten Köstlichkeiten der Bretagne zu kosten. Er lebte jetzt und heute und wer weiß, wann er wieder einmal hier zu Gast sein würde. Außerdem war sein Speiseplan in den letzten Tagen ja wirklich nicht so üppig gewesen. Astrid hätte darin allerdings keinen Grund gesehen, heute nun wieder kräftig zuzulangen, eher die Chance, sich ab jetzt zu beschränken, wo schon ein kleiner Anfang gemacht war.
»Du weißt doch, Schorsch«, bei dem kultivierten Steffen klang das urfränkische ›Schorsch‹ immer eher wie das französische ›George‹. »Der Jahrmarkt der Eitelkeiten. In unserem Alter muss man dann schon ein bisschen was für sich tun.«
»Das sieht Astrid wohl genau so. Jedenfalls hat sie vor ein paar Tagen kritische Worte über mich, meine Figur und meine Essgewohnheiten geäußert. Zum ersten Mal übrigens, so weit ich mich erinnern kann.«
»Wie kommts?«
Ja, das war eine Frage, über die Georg auch schon nachgegrübelt hatte, genau wie über die Unstimmigkeiten, die seit einigen Wochen ständig zwischen ihm und Astrid auftraten. Natürlich lag es daran, dass sie jetzt mehr arbeitete und deshalb zusätzlich zur Organisation des Alltags auch mehr Belastungen ausgesetzt war. Er war sich durchaus bewusst, dass er ihr neben dem Job eine Menge Dinge überließ, was die Kinder, soziale Kontakte, Haus und Garten anbetraf und er war ja auch bereit, sich mehr zu beteiligen. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass es einen anderen Grund für die gestörte Harmonie gab. Eine gute Gelegenheit, einmal mit Steffen darüber zu reden, dem einzigen Mann in seinem Umkreis, der für solche persönlichen Themen infrage kam.
»Ja, wie kommt es? Ich bin mir nicht sicher. Irgendwie hat sich was verändert zwischen uns.«
»Ich bin ja nicht unbedingt ein Fachmann für Krisen in der bürgerlichen Ehe, aber hat euch vielleicht der graue Alltag eingeholt? Ist euer Zusammenleben zur Routine geworden?«
»Unser Zusammenleben ist im Moment
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