Stein und Flöte
Herrn und dachte an die Zeit, in der er hier an der Seite Gisas über die Felder galoppiert war. Damals hatten die Bauern stumm ihre Arbeit getan, und er konnte sich nicht entsinnen, daß einer von ihnen je gesungen hätte oder daß abends in den Dörfern gar getanzt worden wäre. Verbissen waren die Pflüger ihren Zugtieren nachgestapft und hatten kaum gewagt, eine Rast einzulegen, wenn die Herrin in der Nähe vorüberritt – nicht so wie der Bauer, der weiter vorn an ihrem Weg eben seinen Pflug hatte wenden wollen, als von allen Seiten her diese Musik hereinbrach. Jetzt stand er, den Arm um den Hals seines Pferdes gelegt, am Feldrain und blickte den beiden Reitern entgegen.
Barlo hielt sein Pferd bei ihm an und nickte ihm zu. Auch Lauscher wollte freundlich sein und sagte: »Ein schöner Tag ist das heute.«
»Ja«, brummte der Bauer abweisend, »ein schöner Tag.« Dann wendete er sich wieder dem Flöter zu und sagte: »Du bist der junge Barlo. Ich kenne dich aus der Zeit, als dein Vater noch lebte. Aber war es nicht der hier auf dem Esel, der dir …« und er machte die Gebärde des Zunge-Abschneidens. Da legte Barlo seine Hand auf Lauschers Schulter und vollführte mit der anderen eine wegwerfende Geste, die so viel hieß wie: Laß doch diese alten Geschichten!
»Ich dachte nur«, sagte der Bauer. »Später ist er ja darauf gekommen, woran er mit Gisa war. Reitet er schon lange mit dir?«
Barlo nickte.
»Was habt ihr vor?« fragte der Bauer.
»Euch wieder das Lachen beizubringen«, sagte Lauscher.
»Meint ihr, mit dem bißchen Musik könnt ihr Gisa samt ihren Knechten vertreiben?« fragte der Bauer. »Wenn ihr euch da nur nicht täuscht.«
»Versuchen kann man’s ja«, sagte Lauscher, und im gleichen Augenblick schien der Bauer etwas hinter ihm zu erblicken, erschrak und versuchte sofort, sein Zugpferd wieder auf den Acker zu treiben. Lauscher blickte sich um, und auch Barlo schaute auf den Weg zurück, den sie gekommen waren. Da sahen sie einen der zottigen Knechte auf einem Pferd herangaloppieren.
Barlo packte den Bauern am Arm und lächelte ihm beruhigend zu. Da war der Gelbäugige auch schon heran und zügelte sein Pferd.
»Warum arbeitest du nicht?« schrie er den Bauern an.
»Weil er sich gerade mit uns unterhält«, sagte Lauscher freundlich.
Der zottige Knecht blickte ihn verwirrt an, denn eine solche Antwort war er offenbar nicht gewöhnt. Inzwischen hatte Barlo wieder seine Flöte an den Mund gesetzt und begann sein lustiges Lied zu spielen. Diesmal war es die Strophe, die mit den Worten schloß: »… pfeift, Mäuselein, dann ziehen die Wölfe die Schwänze ein.« Das brachte den Knecht völlig aus der Fassung. »Laß dieses verdammte Gedudel!« brüllte er und versuchte sein Pferd an den Flöter heranzudrängen, aber Barlo ließ seinen Gaul steigen, so daß der andere zurückweichen mußte.
»Stört dich die Musik?« fragte Lauscher. »Hör doch! Überall im Tal wird gespielt.«
Jetzt trat ein gehetzter Ausdruck in die gelben Augen des Zottigen. »Wir werden es euch schon zeigen!« schrie er.
»So wie gestern nacht am Wasserfall?« fragte Lauscher und fing an zu lachen. Da ließ auch Barlo das Flöten sein und lachte so laut und dröhnend, daß auch der Bauer in das Gelächter einstimmte, obwohl er gar nicht wußte, worum es ging. Der Zottige starrte einen Augenblick lang auf die drei lachenden Männer, und man konnte sehen, wie sich sein borstiges Haar sträubte. Dann riß er sein Pferd herum und jagte über den Acker davon, setzte querfeldein über Gräben und Hecken, doch das Gelächter blieb ihm auf den Fersen und verfolgte ihn, bis er weit unten im Tal über die Wiesen getrieben wurde wie ein dürres Blatt vor dem Wind.
»Der hatte ja Angst!« sagte der Bauer verblüfft.
»Wenn ihr hier wieder das Lachen lernt«, sagte Lauscher, »werden Gisas zottige Knechte aus der Angst gar nicht mehr herauskommen.«
»In den letzten Jahren hatten wir wenig Grund zum Lachen, wenn uns einer von ihnen begegnete«, sagte der Bauer. »Aber es sieht ja nun so aus, als könne sich das ändern. Wohin seid ihr unterwegs?«
Barlo deutete auf den Hof, der ein Stück weiter voran neben dem Weg lag.
»Zu Eldar?« fragte der Bauer. »Da kommt ihr zum richtigen Mann. Er ist einer der wenigen, denen die Hoffnung noch nicht ganz abhanden gekommen ist. Und ich lasse jetzt das Pflügen sein und gehe nach Hause, um meinen Leuten zu erzählen, was hier vorgeht.«
»Das wollte ich dir gerade
Weitere Kostenlose Bücher