Stein und Flöte
sich noch fragte, ob das dieselbe Kröte sei wie damals, kicherte sie auf ihre feuchtblubbernde Weise und sagte: »Da bist du ja wieder, Lauscher. Man hört, du seiest inzwischen ziemlich weit herumgekommen.«
»Das mag schon sein, Goldauge«, sagte Lauscher. »Aber mir scheint fast, als sei ich dabei keinen Schritt weitergekommen.«
»So? Meinst du das?« sagte die Kröte und schwoll etwas an, so daß Lauscher den Eindruck gewann, sie sei ein bißchen erbost.
»Ist es vielleicht nicht so?« sagte er. »Nun sitze ich wieder hier an demselben Bach und bin unterwegs zu meinem Großvater, nachdem ich drei Jahre lang als Diener durch die Gegend reiten mußte, ohne daß mich einer gefragt hätte, wohin ich eigentlich will.«
»Weißt du denn überhaupt, wohin du willst?« sagte die Kröte und musterte ihn spöttisch. »Dazugelernt hast du offenbar nicht viel; denn ungeduldig bist du noch immer, als wäre es wichtig, irgendwo anzukommen.«
»Ist es das denn nicht?« fragte Lauscher und begann sich zu ärgern über die herablassende Art, in der die Kröte mit ihm sprach. Jetzt fing dieses aufgeblasene, warzige Schwabbeltier tatsächlich an zu lachen, und wer je eine Kröte lachen gesehen hat, der wird zugeben, daß dies ein Anblick ist, der einen ziemlich aus der Fassung bringen kann: Das ohnehin schon beträchtlich breite Maul klafft so weit, daß man Angst bekommt, der flache Kopf könnte in zwei Teile auseinanderreißen, und mitten drin flattert die lange, bewegliche Zunge wie bei einem Balladensänger, der sein Lied zu hoch angestimmt hat. Lauscher sah sich das befremdet an und fühlte sich verunsichert, weil die Kröte seine Frage so lächerlich fand. Schließlich beruhigte sie sich und sagte: »Du erinnerst mich an einen Onkel, der genauso war wie du, immer unterwegs, ständig wollte er es weiterbringen und ein Ziel erreichen, wie er zu sagen pflegte. Vom vielen Laufen war er schon ganz dürr geworden, der magerste Kröterich, den ich je gesehen habe. Er erwischte ja auch selten eine Fliege; denn er dachte immer nur an die fabelhaften Fliegen, die er morgen fangen wollte. ›Du wirst schon sehen‹, sagte er eines Tages zu mir, ›mit mir geht’s noch hoch hinaus.‹ Und kaum hatte er das gesagt, erwischte ihn ein Storch, schlenkerte ihn mit seinem langen Schnabel hoch in die Luft und verschluckte ihn.«
»Der arme Onkel!« sagte Lauscher nicht ohne Bedauern für diesen ehrgeizigen Onkel und hielt die Kröte für ziemlich herzlos, weil sie das so lustig fand und schon wieder auf ihre gräßliche Weise lachte. Doch die Kröte ließ sich durch Lauschers abweisende Miene durchaus nicht beirren und sagte: »Kein Anlaß zur Trauer. Im nächsten Augenblick würgte der Storch meinen Onkel wieder heraus und spuckte ihn ins Gras. Wahrscheinlich war ihm dieser knochige Kröterich im Hals steckengeblieben. Jedenfalls saß mein Onkel an der gleichen Stelle wie zuvor, rang erst einmal nach Luft und sagte dann: ›So hoch hinaus wollte ich nun auch wieder nicht.‹ Und seither nahm er die Dinge so, wie sie heute waren, und nicht, wie sie morgen vielleicht sein würden. Ans Ziel käme er noch früh genug; das war seine ständige Rede in der Zeit nach dem Unfall, und er setzte gewöhnlich noch hinzu, es sei auch noch die Frage, ob man dann tatsächlich dort sein möchte, wohin zu kommen man sich bemüht habe. So sagte er, und er hat auf diese Weise noch ein langes und glückliches Leben geführt und wurde auch wieder schön dick, wie es sich für einen anständigen Kröterich gehört.«
Lauscher fand die Geschichte ärgerlich. »Willst du, daß ich wie eine Kröte lebe?« sagte er. »Wenn ich dir so zuhöre, dann scheint mir fast, du hältst es für das beste, ich bleibe hier sitzen und warte, was weiter passiert.«
»Du bist wirklich schwer von Verstand«, sagte die Kröte und schüttelte mißbilligend den Kopf, was wieder höchst sonderbar aussah, da Kröten keinen Hals haben. »Von Sitzenbleiben und Warten habe ich nichts gesagt, aber von Unzufriedenheit mit dem, was man hat.«
»Läuft das nicht auf das gleiche hinaus?« sagte Lauscher. »Mag sein, daß Kröten so denken, aber ich bin keine Kröte, sondern ein Mensch. Lange genug haben andere über mich bestimmt, und ich habe sie bestimmen lassen, wohin es gehen soll. Aber jetzt möchte ich endlich dorthin gehen, wohin ich selbst will.«
Diese letzte Äußerung entlockte der Kröte wieder ein Kichern, das ihre wabbelige Haut zum Zittern brachte. »Ich hatte eher den
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