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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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denken, während er wie vor drei Jahren den Waldhang emporritt. Allerdings brauchte er sich jetzt nicht durch Gestrüpp und Unterholz zu schlagen; denn Barlo hatte ihm einen Weg beschrieben, auf dem er im Sattel seines Esels bleiben konnte. Außerdem führte Lauscher noch ein Handpferd am Halfter mit sich, das ihm der rechtmäßige Herr von Barleboog zum Dank für seine Dienste geschenkt hatte, eine Fuchsstute, die wegen der weißen Haarkränze um ihre Hufe Schneefuß genannt wurde und ein Abkömmling jener anderen Fuchsstute war, die Lauscher während seiner ersten Zeit auf Barleboog so gern geritten hatte. »Von Jalf wirst du dich beim Eselwirt wohl trennen müssen«, hatte Barlo geflötet. »Der schmale Junge, für den dein Esel damals ausgesucht wurde, bist du nun nicht mehr.«
    Nein, ein Junge war er jetzt nicht mehr. Aber was war er dann? Ein Mann? War es Gisa zu guter (oder böser) Letzt doch noch gelungen, einen Mann aus ihm zu machen? Während er immer weiter den Weg bergauf ritt, der unter einzelnen Wetterfichten schräg am Hang des Höhenrückens emporzog, dachte Lauscher darüber nach und fand keine Antwort auf diese Frage. Drei Jahre war er mit Barlo durch das Land geritten, und immer war es Barlo gewesen, der entschieden hatte, wohin es gehen sollte und was zu tun war. Lauscher merkte, daß sein Entschluß, Barleboog zu verlassen, ihm durchaus noch nicht jene Selbständigkeit verlieh, die, wie er meinte, zu einem Manne gehörte. Er wußte nur, daß er jetzt allein war, und das war keineswegs dasselbe wie selbständig zu sein. Ich muß ein Ziel finden, dachte er, ein Ziel, das ich mir selbst gewählt habe; erst dann werde ich frei und selbständig sein.
    Auch damals war er allein durch den Bergwald geritten, hastig und von der Furcht getrieben, er könne diesem Pferdeknecht begegnen, den er im Zorn zur Stummheit verurteilt hatte. Er fragte sich, ob er auch diesmal verfolgt wurde. Irgendwo trabten hier zwei Grauwölfe durch den Wald. Ob sie seine Spur schon gewittert hatten? Zum Abschied hatte ihm Barlo einen Jagdbogen in die Hand gedrückt und ihm dazu einen Köcher voll Pfeile gegeben, die scharfe Stahlspitzen hatten, wie man sie für Großwild verwendet. An ein Kaninchen, das Lauscher sich zum Abendessen schießen könnte, hatte Barlo dabei wohl weniger gedacht; denn dann hätte er andere Pfeile gewählt. Aber Lauscher war im Zweifel, ob er den Bogen auch benützen würde, wenn ihm im Wald eine Grauwölfin begegnete. Würde er nicht hinter dem haarigen Wolfsschädel Gisas Gesicht sehen, so wie es ihn angeblickt hatte, ehe sie als grauer Schatten aus dem Fenster gesprungen war? Ihm graute weniger vor der Gefahr als davor, einen solchen Entschluß fassen zu müssen.
    Vorderhand bestand jedoch kein Anlaß zu dergleichen Befürchtungen. Hier auf dem Kamm des Höhenzuges standen die zerzausten Fichten in weiten Abständen, und der niedrige Bewuchs des felsigen Bodens bot einem größeren Tier kaum ein Versteck. Als Lauscher auf der Höhe angelangt war, blickte er diesmal nicht zurück ins Tal von Barleboog, sondern trieb seinen Esel weiter den Weg entlang, der auf der anderen Seite abwärts nach Westen führte. Wo auch immer sein Ziel liegen mochte, in Barleboog hatte er es nicht gefunden, ja es schien ihm eher, als sei dieser drei Jahre währende Ritt mit Barlo ein einziger Umweg gewesen, der ihn schließlich wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückgeführt hatte.
    An diesem Tag ritt er noch ein gutes Stück hinunter in die Wälder, bis sein Weg jenen Bach kreuzte, dem er damals auf seiner Flucht vor Barlo gefolgt war. Hier ließ er seine beiden Tiere trinken und suchte sich einen Lagerplatz für die Nacht. Eine Zeitlang blieb er noch am Bach sitzen, hörte zu, wie das Wasser zwischen den moosigen Steinen gluckste und lauschte auf die Geräusche des Waldes. Aber es war nichts Außergewöhnliches zu hören, kein unvermutetes Knacken von Zweigen, kein aufgeregt zeternder Vogel. Als Jalf sich zum Schlafen hinlegte, war Lauscher sicher, daß hier keine Gefahr drohte. Neben seinem Esel rollte er sich in seine Decke und schlief bald ein.
    Irgendwann in der Nacht wachte Lauscher davon auf, daß Jalf den Kopf hob. Der Esel schien jedoch nicht weiter beunruhigt zu sein, sondern äugte nur über Lauscher hinweg zum Bach, der hinter dessen Rücken über die Rollsteine plätscherte. Lauscher wendete den Kopf und sah am Ufer eine dicke Kröte sitzen, die ihn mit ihren schönen Goldaugen aufmerksam anblickte. Während er

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