Stein und Flöte
von Arnis Leuten.«
»Mein Großvater wird sich freuen, wenn er hört, daß ihr Arnis Andenken so hoch in Ehren haltet«, sagte Lauscher.
»Ja, das tun wir«, bestätigte Günli. »Seine Hütte ist der Mittelpunkt unserer Ansiedlung, und unsere Ältesten treten in Arnis Stube zur Beratung zusammen. Wir bewahren dort auch alles auf, was uns von Arni geblieben ist, sein Gürtelmesser zum Beispiel und seinen Sattel. Nur der Stein, von dem er sagte, daß dieser ihn auf seinen Weg geführt habe, ist seit seinem Tod verschwunden, und wir Händler haben den Auftrag, überall im Land nach ihm zu suchen.«
»Das wird nicht mehr nötig sein«, sagte Lauscher. Er öffnete sein Hemd, holte den Beutel hervor und nahm den Augenstein heraus. Die beiden Händler sprangen von ihren Sitzen auf und starrten auf den Stein in Lauschers Hand. »Arnis Stein!« riefen sie wie aus einem Munde, und Günli fügte hinzu: »Möge er ewig leuchten!«
Lauscher war verblüfft über die Wirkung, die der Anblick des Steins bei den beiden Männern hervorgerufen hatte. »Wenn ihr mich nicht hier angetroffen hättet«, sagte er, »dann hätte mein Großvater euch Auskunft geben können, wo sich der Stein befindet.«
»Auf welche Weise ist er in deinen Besitz gelangt?« fragte Günli.
»Arni hat ihn mir gegeben, ehe er starb«, sagte Lauscher und berichtete, wie es dazu gekommen war. Als er zu Ende gesprochen hatte, verneigten sich die beiden Händler tief vor ihm, und Günli sagte: »Wir verehren in dir den rechtmäßigen Erben von Arnis Stein. Ich halte es nicht für einen Zufall, daß wir uns hier getroffen haben. Wer den erhabenen Spuren Arnis folgt, findet sein Ziel. Wir werden zu Hause berichten, wer jetzt der Träger des Steins ist, und dein Ansehen unter Arnis Leuten wird nicht geringer sein als jenes von Arnis Stellvertreter. Solltest du je geneigt sein, unsere armseligen Hütten zu besuchen, wirst du an Hönis Seite sitzen.«
»Ich bitte euch, nehmt wieder Platz!« sagte Lauscher. »Ihr erweist mir zu viel Ehre.« Aber er war dennoch beeindruckt davon, welche Stellung ihm sein Stein unter Arnis Leuten verlieh. War es das, was ihm Arni im Sterben noch hatte sagen wollen? Sollte er den Schimmer des Ruhmes, den Glanz der Verehrung suchen? Beides würde er bei Arnis Leuten finden. Ob der Sterbende das vorausgeahnt hatte? Eine solche Sicht ins Künftige schienen diese Händler dem Toten durchaus zuzutrauen. »Ich muß vorerst bei meinem Großvater bleiben«, sagte er, »denn er will mich in der Kunst des Flötens unterweisen. Danach will ich eurer Einladung gern Folge leisten.«
»Du wirst uns doppelt willkommen sein«, sagte Günli, »als Träger des Steins ebenso wie als Enkel und Schüler des verehrungswürdigen Sanften Flöters.«
Bald danach brach Lauscher auf, denn es ging schon auf Mittag. Günli und Orri verabschiedeten sich von ihm unter vielen Verneigungen, wobei Günli die Einladung in die Häuser von Arnis Leuten in aller Form wiederholte und Lauscher noch einmal bat, seinen Großvater auf ihren Besuch vorzubereiten. Der Eselwirt begleitete Lauscher noch ein Stück. »Was hältst du von den beiden?« fragte er, als sie durch den Torweg gingen. »Früher hieß es: Trau keinem Beutereiter auf Pfeilschußweite! Und kaum haben sie sich ihre Zöpfe abgeschnitten, fließen die Kerle über von Höflichkeit und frommen Sprüchen.«
Lauscher zuckte mit den Schultern. »Sie haben eben ihre Sitten geändert, als sie sich von der Horde getrennt haben«, sagte er. »Außerdem müssen Händler höflich sein, wenn sie Geschäfte machen wollen.«
Der Eselwirt lachte. »Da hast du auch wieder recht«, sagte er. »Ich werde wohl künftig noch mehr solche Gäste zu beherbergen haben. Da Barlo die Wölfe vertrieben hat, wird jetzt auch der alte Handelsweg vom Fluß über das Waldgebirge nach Barleboog wieder in Gebrauch kommen. Günli hat mir jedenfalls gesagt, daß er mit seinem schweigsamen Reisegefährten dorthin unterwegs ist. Aber ich muß jetzt umkehren. Grüß deinen Großvater von mir und paß ein bißchen auf ihn auf. In letzter Zeit sah er ziemlich klapprig aus. Und sag mir Bescheid, wenn ihr etwas braucht.«
Nach dem Mittagessen erzählte Lauscher seinem Großvater von den beiden sonderbaren Gästen im Eselwirtshaus. Der Sanfte Flöter hörte aufmerksam zu und putzte dabei seinen goldenen Zwicker mit einem Ledertüchlein. »Arni hat offenbar nicht umsonst gelebt«, beschloß Lauscher seinen Bericht.
»Das kann schon sein«, sagte der
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