Stein und Flöte
brüllendem Gelächter.
Er war schon nahe daran, aufzustehen und hungrig zu Bett zu gehen, als der Wirt endlich, den dampfenden Suppennapf in der Hand, sich zwischen den gestikulierenden und schreienden Gästen hindurchdrängte und an seinen Tisch kam. Er setzte sich zu Lauscher, aber eine Unterhaltung war nicht möglich. Als Antwort auf die unverständliche Anrede des Wirts zuckte Lauscher nur unwillig mit den Schultern. Da beugte sich der Wirt zu ihm herüber und schrie ihm ins Ohr: »Ich muß auch nach dem Jahrmarkt leben. Da kann man sich seine Gäste nicht aussuchen.«
Lauscher gab nicht zu erkennen, ob er die Worte verstanden hatte. Er kroch in sich zusammen und löffelte eilig die Suppe, um möglichst bald diesem höllischen Lärm entfliehen zu können, der ständig anzuschwellen schien und sein Hirn überschwemmte, bis er nichts mehr empfand als eine kalte Wut auf jeden, der hier in diesem Raum saß. Und während er diese Wut in sich hineinfraß, steigerten sich die Stimmen am Nebentisch zu keifendem Gezeter, Streit bahnte sich hörbar an, unflätige Schimpfworte barsten wie zerscherbte Krüge, schon wurden Hocker krachend zurückgestoßen, Messer blitzten auf. Der Wirt packte Lauscher am Ärmel und deutete mit dem Kopf zur Tür. In seinen Augen flackerte Angst. Lauscher war jetzt wie taub und starrte in die verzerrten Gesichter der Streitenden. Seine Wut zog sich zusammen zu einem eisigen Punkt mitten in seinem Hirn, und jetzt wußte er auch, was er tun würde. Er riß seinen Arm aus dem Griff des Wirtes, zog seine Packtaschen heran und tastete in der Tiefe der einen nach seiner Flöte. Jetzt wollte er sehen, wie es um seine Macht als Flöter bestellt war. Er sprang auf den Tisch, daß der Suppennapf klirrend über die Platte tanzte, setzte sein Instrument an die Lippen und begann zu spielen. Schon beim ersten Ton wurden die Streithähne aus ihrer Verklammerung gerissen und standen einen Augenblick erstarrt. Dann warfen sie die Arme hoch und fingen stampfend an zu tanzen. Auch an den anderen Tischen war das Geschrei mit einem Schlag verstummt. Bald waren alle auf den Beinen, sogar der Wirt, und bewegten sich im Takt der wütenden Melodie, die über ihre Köpfe hinwegschrillte. Bänke und Tische wurden beiseite getreten, bis Raum genug war für die Tänzer, die sich wie Marionetten nach Lauschers Flöte bewegten. Jetzt, da er sah, daß er sie in seiner Gewalt hatte, begann es Lauscher ein wildes Vergnügen zu bereiten, ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Er ließ sie sich zu zwei Reihen ordnen, die einander in stampfender Bewegung gegenüberstanden, dann trieb er sie auseinander, daß beide Reihen zurückwichen bis an die Barriere der durcheinandergestürzten Tische, Bänke und Stühle, trieb sie wieder aufeinander zu, bis die Tänzer einander in dumpfer Wut in die blutunterlaufenen Augen stierten, und so trieb er sie vor und zurück, vor und zurück im trüben Licht der wenigen noch nicht verlöschten Öllampen, das nur noch schwelend durch den aufwölkenden Staub drang, vor und zurück, vor und zurück, bis er sie in einem letzten, dröhnenden Ansturm mit den Köpfen krachend zusammenrennen ließ.
Als er die Flöte absetzte, regte sich nichts mehr. Er steckte sie an ihren Platz, nahm sein Gepäck und verließ die Stube, ohne dem verknäulten Haufen von Leibern einen Blick zu gönnen. In dieser Nacht schlief er tief und traumlos wie nach einer großen Erschöpfung und erwachte erst spät.
Die Stube war aufgeräumt, gesäubert und gelüftet, als er am Morgen herunterkam und sich zu seiner Morgenmahlzeit setzte. Der Wirt bediente ihn selbst und näherte sich ihm mit kriechender Unterwürfigkeit. »Ich wußte nicht, daß ich einen solchen Meister in meinem Haus beherberge«, sagte er, während er diensteifrig mit einem Lappen den Tisch abwischte, um dann Brot, Milch, Schinken und Käse aufzutragen. Auf seiner Stirn glänzte eine riesige rote Beule, die sich an den Rändern blau verfärbte. Der Wirt kühlte diese bemerkenswerte Spur von Lauschers Flötenkunst hie und da mit einem feuchten Tuch. »Der große Barlo verstand sich auch auf die Kunst«, sagte er, »aber dergleichen wie du gestern abend hätte er wohl nicht zustande gebracht.«
Diese Feststellung befriedigte Lauscher ungemein. »Es war auch an der Zeit, hier ein bißchen Ordnung zu schaffen«, sagte er so beiläufig, als sei dies für ihn keine besondere Verrichtung gewesen. »Ich hoffe, deine Gäste haben sich inzwischen erholt«, fügte er
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