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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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die Seitentür aus der Werkstatt ins Haus und trat in die Stube. Rikka stand am Fenster und drehte sich zu ihm um. »Ich habe dich schon kommen sehen«, sagte sie lächelnd. Lauscher fand keine Antwort. Er sah nur Rikkas Augen, diese dunklen Augen von schwer zu beschreibender Farbe zwischen blau, grün und violett, Urlas Augen, in die schon der Sanfte Flöter hineingestürzt war wie in einen Brunnen. »Ja, ich bin gekommen«, sagte er schließlich stockend. »Wegen deiner Augen bin ich gekommen.«
    Rikka lachte leise, aber in diesem Lachen war kein Spott, nicht einmal eine Spur von Überlegenheit. Sie hat mich einfach gern, dachte Lauscher überrascht. Sie freut sich, daß ich gekommen bin.
    »Komm her zum Fenster, daß ich dich anschauen kann«, sagte Rikka. Er stellte die Packtaschen ab, ging zu ihr, und sie nahm ihn bei der Schulter und sah ihm ins Gesicht. Jetzt waren ihre Augen dicht vor ihm, und er hätte ihnen nicht ausweichen können. Aber das wollte er auch gar nicht. »Du hast viel gesehen in den Jahren, seit du zum letzten Mal hier gewesen bist«, sagte Rikka.
    »Das einzig Wirkliche in dieser Zeit waren deine Augen«, sagte Lauscher. Und dann nahm er sie in die Arme und küßte sie. Er wunderte sich, daß sie seinen Kuß erwiderte, doch dann schob sie ihn von sich und sagte: »Ach, Lauscher, das bin doch nicht ich, die du suchst. Wir haben nur alle die gleichen Augen. Das weißt du doch.«
    Lauscher blickte sie verwirrt an. Er sah jetzt, daß ihr Haar seit seinem letzten Besuch fast weiß geworden war, obwohl ihr Gesicht noch immer glatt und jung schien. Rikka lachte wieder und sagte: »Erzähl mir, was du inzwischen getan hast. Wo kommst du jetzt her?«
    »Von meinem Großvater«, sagte Lauscher und berichtete ihr vom Tod des Sanften Flöters.
    »Ich weiß, daß er nur noch auf dich gewartet hat«, sagte Rikka. »Hat er dich das Flöten gelehrt?«
    »Ja«, sagte Lauscher, »aber ich durfte nie etwas Eigenes auf der Flöte spielen.«
    »Dann tu’s jetzt!« sagte Rikka. »Spiele für mich!«
    Lauscher erschrak. Es wurde ihm bewußt, daß er Angst davor hatte, die Flöte nach seinem eigenen Willen zum Klingen zu bringen. »Ich hab’s noch nie allein versucht«, sagte er.
    »Du bist nicht allein«, sagte Rikka, »und ich bitte dich darum.«
    Da ging Lauscher zu seinen Packtaschen und holte die Flöte hervor. Er wickelte sie vorsichtig aus dem weichen Tuch und zeigte sie Rikka. Sie schaute sie eine Zeitlang an und blickte dann Lauscher wieder in die Augen. »Sie ist vollkommen«, sagte sie. »Aber jetzt will ich sie hören.«
    Da setzte Lauscher die Flöte an die Lippen und fing an zu spielen. Obwohl er eben noch keinerlei Vorstellung irgendwelcher Tonfolgen, geschweige denn einer Melodie gehabt hatte, glitten seine Finger wie von selbst über die Grifflöcher, und er hätte auch später nicht beschreiben können, welcher Art diese Musik gewesen war, die er gespielt hatte, als er dort vor Rikka in der Stube stand. Er sah nur noch ihre Augen, tauchte in sie ein, wurde eingehüllt von diesem Farbenspiel aus Blau, Grün und Violett, aus dem sich Bilder lösten, die er lange danach in seinem Gedächtnis wiederfinden sollte.
    Ringsum war Laub, bläulich und violett überschattete Blätter, und dazwischen flirrendes Grün, wo einzelne Sonnenstrahlen durch die hohen Baumkronen brachen, und dieses Laub umspülte ihn wie bewegtes Wasser einen Felsen, die violetten Hände der Ahornblätter wehten schwankend an ihren langen, beweglichen Stielen, blaugrün glänzten die Lanzetten des Ligusters, und zwischen dem satten Grün ovaler Buchenblätter tanzten flimmernd an ihren schwarzen, dünnen Zweigen die hellgrünen Herzen der Birken. Er blickte in dieses wogende Meer von Blättern und hörte das Rauschen des Windes und das Plätschern von Wasser. Über ihm in den Zweigen flötete eine Amsel. Dann hörte er das Flattern ihrer Flügel dicht neben seinem Ohr. Erst als er den Kopf zur Seite drehen wollte, merkte er, daß er sich nicht bewegen konnte, und dennoch sah er die Amsel auf seiner Schulter sitzen, ohne daß er seine Augen auf sie gerichtet hätte. Es war, als könne er auf eine schwer zu beschreibende Weise von innen heraus sehen, ohne seine Augen zu gebrauchen. Die Amsel legte den Kopf schief und beäugte mit ihren schwarz glänzenden Augen sein Ohr, als wolle sie ihn fragen, ob er das Zuhören nun endlich gelernt habe. Er wunderte sich, daß er ihre Krallen nicht auf seiner nackten Haut spürte, und da sah er,

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