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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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höflichkeitshalber hinzu.
    »Sobald die ihre fünf Sinne wieder beieinander hatten, haben sie sich verkrochen wie Ratten«, sagte der Wirt. »Einer von ihnen brummte noch, ich solle ihnen das nächste Mal vorher Bescheid sagen, wenn hier wieder ein großer Zauberer absteige, um zum Tanz aufzuspielen. Sie hatten allesamt mächtigen Respekt vor dir, Herr. Das kann ich dir versichern.«
    Lauscher war beeindruckt. So schmeckte also der Genuß der Macht, die ihm seine Flöte verlieh. Er kostete diesen Geschmack und fand ihn süß. Kaum hatte er gespielt, nannte man ihn auch schon ›Herr‹ und beugte den Nacken.
    »Gibst du meinem bescheidenen Haus noch länger die Ehre, Herr?« fragte der Wirt katzbuckelnd.
    Lauscher schüttelte den Kopf. Es tat ihm jetzt fast leid, daß er nicht über Barleboog gereist war. Barlo hätte Augen gemacht, wenn er ihm etwas vorgespielt hätte, dessen war er sicher. Nun wollte er wenigstens seinem Vater zeigen, was aus ihm geworden war. Und dann rasch weiter zu Arnis Leuten. »Nein«, sagte er. »Ich reite noch heute.«
    Wenn Lauschers Ankunft in Draglop unbeachtet geblieben war, dann erregte seine Abreise um so mehr Aufsehen. Sein Auftritt in der Silbernen Harfe am Abend zuvor hatte sich offenbar wie ein Lauffeuer herumgesprochen, und manch einer der an diesem Tanzvergnügen Beteiligten hatte wohl auch noch ein bißchen übertrieben, als er hatte erklären müssen, wie er zu einer solch fabelhaften Beule auf der Stirn gekommen sei. Jedenfalls schien es Lauscher, daß sich an diesem Morgen im Umkreis des Gasthauses ungewöhnlich viele Leute aufhielten, die neugierig zu ihm herüberblickten, sobald er aus der Toreinfahrt geritten kam. Einige von ihnen verbeugten sich wie vor einem großen Herrn, als er an ihnen vorübertrabte, andere wieder machten das Zeichen gegen böse Geister und verdrückten sich in die Seitengassen, sobald sie seiner ansichtig wurden, wohl ein paar von jenen Schreihälsen, die gestern im Wirtshaus gesessen hatten und denen darüber die Lust am Tanzen vergangen war. Frauen standen am Straßenrand, hoben ihre Kinder auf und zeigten ihnen diesen großen Zaubermann. »Schau, das ist der Gewaltige Flöter!« hörte er eine von ihnen rufen. Das klang so, als hätte er unter den Leuten schon einen Namen bekommen. Lauscher zügelte sein Pferd und nickte der Frau freundlich zu. Da faßte diese Mut, trat vor und sagte: »Willst du Draglop schon wieder verlassen, Herr?« Sie schien das zu bedauern, und als Lauscher nickte, sagte sie: »Das ist sehr schade, Herr. Du hättest unseren Männern mit deiner Flöte etwas Sitte und Anstand beibringen können.«
    Lauscher lachte. »Dann sag euren Männern«, rief er, »daß ich bei Gelegenheit wiederkommen will, wenn sie’s zu toll treiben! Jetzt habe ich erst einmal Wichtigeres im Sinn.« Er kniff das Kind der Frau freundlich in die Wange und ließ sein Pferd weitertraben. Davon wird dieser Knabe noch einmal seinen Enkeln erzählen, daß ihn der Gewaltige Flöter in die Wange gekniffen hat, dachte er vergnügt, während er pfeifend durch die Straßen ritt. Ein paar Kinder rissen sich von ihren Müttern los und begannen ihm nachzulaufen. Erst waren es drei, dann fünf, und gleich darauf war es schon ein ganzer Haufen. Die schnellsten rannten neben ihm her, und hinter ihnen trabten schon an die hundert, schrieen und lachten allesamt durcheinander, und dann fing eines der Kinder mit heller Stimme an zu singen:
    Flöter,
    spiel uns vor,
    spiel auf deinem Silberrohr,
    laß im Tanz uns springen,
    deine Lieder singen,
    laß uns tanzen durch das Tor,
    spiel auf deinem Zauberrohr!
    Immer mehr fielen in die einfache, dreitönige Melodie ein, und bald wiederholte die ganze Kinderschar wieder und wieder diesen Singsang. Da nahm Lauscher seine Flöte aus der Packtasche und fing an zu spielen. ›Kommt mit mir!‹ spielte er. ›Lauft mir nach! Draußen auf den Wiesen ist es schöner als hier zwischen den Häusermauern! Dort könnt ihr springen, tanzen und lachen! Tanzt, meine kleinen Freunde, tanzt hinaus durchs Tor!‹ Und die Kinder tanzten, wie sie noch nie getanzt hatten, sprangen so hoch, wie sie noch nie gesprungen waren, lachten so schrill, wie sie noch nie gelacht hatten, und liefen zwischen den letzten Häusern dem Flöter nach und hinaus durchs Tor ins Freie.
    Lauscher hielt sein Pferd zurück, flötete immer weiter und ließ die Kinder vor sich hertanzen. Er sah, wie sie sich nach den Tönen seiner Melodie, wie sie sich nach seinem Willen

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