Stein und Flöte
und Lauscher ein paar Wegmarken genannt, nach denen er sich richten konnte. Nach etwa einem halben Tag, hatte er erklärt, erreiche man den abgestorbenen Stumpf einer Kopfweide, und dort teile sich der Weg. Nach links komme man zum See am Fuß des Gebirges, er aber müsse sich rechts halten, wenn er nach Fraglund wolle.
Lauscher hatte sich das Moor so vorgestellt, wie er es in Erinnerung hatte: naß zwar, voller Tümpel und schlammiger Wasserlöcher, von denen man sich besser fernhielt, aber doch gut überschaubar. Jetzt sah er erst richtig, worauf er sich eingelassen hatte. So weit er schauen konnte, breitete sich vor ihm ein milchig graues Nebelmeer aus, das er würde durchreiten müssen, wenn er nach Fraglund kommen wollte. Er war in diesem Augenblick nahe daran umzukehren, doch dann dachte er an die wütenden Männer von Draglop und auch an den Wirt, der ihm einen solchen Ritt zugetraut hatte. Sein Ruhm als Gewaltiger Flöter würde schneller dahin sein, als er ihn gewonnen hatte.
Langsam und mit Vorsicht ließ er sein Pferd im Schritt den Weg hinab zum Moor gehen. Schneefuß schnaubte unruhig, gehorchte aber dem Willen seines Herrn. Nach wenigen Schritten tauchten die Hufe in die ersten Nebelfetzen, und je weiter Lauscher ritt, desto höher stieg die träge treibende Flut, schwappte ihm schon bald über die Knie, stieg und stieg, vor ihm durchbrach nur noch der Kopf des Pferdes die trüben Schwaden, versank gleich darauf, und dann tauchte Lauscher selbst unter und atmete den feuchtkalten Dunst, der ihn einhüllte und jede Sicht verwehrte. Da war kein fester Punkt mehr, an den er sich halten konnte, kein Horizont, keine Wegmarke, kein fester Boden unter den Hufen, die irgendwo unten im Unsichtbaren dumpf auf den schwankenden Grund schlugen und sich schmatzend wieder losrissen. Nach kurzer Zeit hatte Lauscher jede Orientierung verloren und überließ es Schneefuß, den richtigen Weg zu finden. Er gab es auf, in das gestaltlose Grau zu starren, schloß die Augen, ließ sich tragen und schreckte nur hie und da hoch, wenn das Pferd mit dem Huf in ein Wasserloch platschte. Nach und nach verlor er auch das Gefühl, irgendein Ziel zu haben. Es war, als dringe der Nebel mit jedem Atemzug in seine Gedanken ein und löse sie auf zu einem ungeformten Brei. Vielleicht ging das Pferd unter ihm schon ungezählte Male im Kreise oder trat gar auf der Stelle, aber all das interessierte ihn kaum und wäre wohl auch nicht zu ändern gewesen.
Er wußte nicht, wie lange er so geritten war, als Schneefuß unvermittelt stehen blieb. Lauscher blickte auf, und ihm schien, als sei der Nebel zu seiner Rechten etwas dunkler. Er drängte das Pferd in diese Richtung, bis der Schatten Gestalt gewann und als jener Kopfweidenstumpf zu erkennen war, von dem der Wirt gesprochen hatte. Hier also teilte sich der Weg. Lauscher stieg ab, ließ sich auf die Knie nieder und untersuchte den Boden. Zu sehen war kaum etwas, aber seine Hände ertasteten die Stelle, an der die festgetretene Spur sich gabelte. Er führte Schneefuß ein paar Schritte auf den Pfad, der nach rechts abbog, stieg dann wieder auf und überließ alles Weitere dem Pferd.
Der Nebel schien jetzt noch dichter zu werden und legte sich Lauscher auf die Brust, als wolle er ihm den Atem abdrücken. Es ging wohl auch schon auf den Abend zu, denn das eintönige Grau ringsum nahm allmählich eine dunklere Tönung an. Lauscher begann eben darüber nachzudenken, wie er die Nacht zubringen solle, als dicht neben ihm unversehens ein Reiter aus dem Dunst tauchte und an seiner Seite weiter ritt. Lauscher grüßte höflich, bekam aber keine Antwort. Vielleicht hatte der Mann ihm zugenickt, aber das war in der zunehmenden Düsternis kaum auszunehmen. Lauscher versuchte sich ein Bild von diesem schweigsamen Begleiter zu machen, so weit dies der milchig-dichte Nebel erlaubte, konnte aber nicht viel mehr wahrnehmen als eine graue Gestalt auf einem grauen Pferd. Selbst das Gesicht des Fremden sah grau aus wie das eines Toten. Eine Zeitlang ritt dieser graue Mann schweigend neben ihm her, dann schwenkte er plötzlich vom Weg ab, und Schneefuß blieb ohne zu zögern an seiner Seite.
»Wohin reiten wir?« fragte Lauscher. Statt einer Antwort deutete der andere nach vorn, als könne jedermann sehen, wohin der Weg führte. Und gleich darauf sah man es tatsächlich. Vor Lauschers Augen verdüsterte sich plötzlich der gestaltlose Nebel und gab eine bräunliche Mauer frei. Der Reiter stieg ab, band sein
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