Stein und Flöte
Große Brüller eben Lauscher genannt?«
»Das ist mein Name«, sagte Lauscher. »Und der Große Brüller ist mein Vater.«
Da verbeugten sich die drei Händler fast bis zum Boden, und Tangli sagte: »Wir bezeigen dir unsere Ehrfurcht, Träger des Steins und geben uns in deine Hand.«
Der Große Brüller beobachtete erstaunt, welche Ergebenheit die Händler seinem Sohn gegenüber an den Tag legten. Er trat näher und fragte Lauscher, was er mit diesen Leuten zu schaffen habe.
»Das ist eine lange Geschichte, die ich dir jetzt nicht in allen Einzelheiten erzählen kann«, sagte Lauscher. »Eines kann ich dir jedenfalls versichern: Diese Männer sind weder Beutereiter noch deren Spione, sondern friedliche Händler. Hast du noch nie von Arnis Leuten gehört?«
»Von Arnis Leuten?« fragte der Große Brüller. »Wer soll das sein? Meinst du diesen Bruder Khan Hunlis, den man Arni mit dem Stein nannte? Von dem habe ich seinerzeit schon gehört. Ein sonderbarer Mann für einen Beutereiter! Man sagt, er soll ein äußerst friedliebender Mensch gewesen sein.« Der Große Brüller lachte dröhnend. »Stell dir das einmal vor: ein friedlicher Beutereiter! Das geht nicht in meinen Kopf. Außerdem soll dieser Arni damals getötet worden sein, als die Horde nach Fraglund einfallen wollte. Du warst ja dabei, als wir sie verjagt haben.«
»Ja«, sagte Lauscher, »ich war dabei. Und ich habe Arni sterbend im Gebüsch gefunden und ihm seinen letzten Schluck Wasser gegeben. Dafür hat er mir seinen Stein geschenkt.« Er zog den Beutel unter dem Hemd hervor, nahm den Stein heraus und zeigte ihn seinem Vater. Sobald der Stein in Lauschers Hand aufblitzte, verneigten sich Tangli und seine beiden Begleiter tief und sagten in feierlich singendem Tonfall: »Möge Arnis Stein die Herzen der Menschen erleuchten!«
Der Große Brüller nahm dies mit einiger Befremdung zur Kenntnis. »Was soll dieses Getue wegen eines kleinen Steins?« fragte er verständnislos. »Du hast mir damals nichts darüber erzählt.«
»Da wußte ich auch noch nicht, was es mit diesem Stein auf sich hat«, sagte Lauscher. »Aber es war wohl dieser Stein, der Arni dahin gebracht hat, anders zu sein als sein Bruder Hunli und die ganze Horde, ein friedlicher Beutereiter, auch wenn dir das sonderbar vorkommen mag. Und nun gibt es auch andere von seinem Volk, die es ihm gleich tun wollen und sich deshalb Arnis Leute nennen.«
»Arni ist tot«, sagte der Große Brüller, als sei es ungehörig, einem Toten nachzueifern.
»Ja«, sagte Lauscher. »Arni ist tot. Aber sein Stein, den ich hier in der Hand halte, wird nicht sterben. Jetzt bin ich es, der ihn trägt.«
Lauscher bemerkte, daß sein Vater ihn plötzlich mit anderen Augen betrachtete. »Seitdem scheinst du ja viel bei diesen Leuten zu gelten«, sagte der Große Brüller nicht ohne Erstaunen, daß sein Sohn solche Anerkennung erfuhr. Wie zur Bestätigung stimmten die drei Händler wieder ihren Singsang an und sagten: »Arni hat dich erwählt, erhabener Träger des Steins. Seine Weisheit ist in dir!«
Der Große Brüller zog verwundert die buschigen Augenbrauen hoch, als er dies hörte; denn von der Weisheit seines Sohnes war ihm bislang nichts bekannt geworden. Auch behagte ihm die Feierlichkeit dieses Auftritts nicht besonders, und so beschloß er, zum Gegenstand der Verhandlung zurückzukehren. »Wie ich höre«, sagte er also, »bist du offenbar durchaus berechtigt, für diese Männer zu sprechen. Es sieht auch so aus, als hätten wir sie zu unrecht für Beutereiter oder Spione gehalten. Dann bliebe noch zu klären, ob hier einer meiner Leute übervorteilt werden sollte.« Er wandte sich dem Bauern zu, der als Kläger aufgetreten war, und forderte ihn auf, den Hergang der Sache darzulegen. Doch dieser Mann schlug die Augen nieder und murmelte, daß er wohl etwas zu voreilig gehandelt habe, wobei unklar blieb, ob dies seiner Einsicht entsprach oder ob er angesichts dieser neuen Situation keine Aussicht mehr sah, seine Sache gegen die fremden Händler durchzusetzen, die sich unvermutet als Gefolgsleute Lauschers erwiesen hatten.
»Dann macht schleunigst, daß ihr nach Hause kommt!« polterte der Große Brüller los. »Sonst zeige ich euch mit meinen eigenen Fäusten, wie es einem ergehen kann, der unhaltbare Beschuldigungen vor den Richter bringt!« Er machte in der Tat Miene, auf die verschreckten Bauern loszugehen, und dieser jähe Wutausbruch schien Lauscher auf Grund der Sachlage durchaus nicht
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