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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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sagen kannst. Hast du noch nie erfahren, wie leicht man sich selbst belügt? Selbst mit dem Stein wird er ein Leben lang brauchen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wer er ist und was von ihm erwartet wird. Der Stein wird ihm immer nur den nächsten Schritt zeigen, und auch das nur, wenn er bereit ist, diesen Schritt zu gehen und nicht nach dem Gewinn zu fragen, der für ihn selbst dabei herausspringt. Wer den Stein trägt, weiß noch lange nicht alles, Flöter!‹
    Mein Vater hat Urla danach gefragt, wie sie lachen könne, während sie ihm erkläre, welch schweres Leben Arni vor sich habe. Er finde solche Aussichten durchaus nicht erheiternd. Daraufhin habe Urla den Kopf geschüttelt und gesagt: ›Ein schweres Leben? Er wird mehr als andere erfahren, wie schön das Leben ist; denn das erfährt man nur, wenn man sich nicht vor allem verschließt, was einem fremd erscheint.‹
    Diese Worte haben mich sehr beeindruckt, als ich die Geschichte zum ersten Mal hörte. Kann sein, daß mein Vater es darauf angelegt hat; denn ich hatte damals eine unüberwindliche Scheu vor allem, was mir fremd war, so daß manche Besucher, die in unser Haus kamen, den Eindruck gewannen, ich sei taub. Wenn ich zu dieser Zeit deinen Vater getroffen hätte, wäre ich wahrscheinlich erschreckt vor ihm davongelaufen.« Sie lachte, und Lauscher stimmte in ihr Lachen ein. »Dazu braucht man nicht besonders ängstlich zu sein«, sagte er. »Ich habe mich schon manchmal gefragt, wie du dazu gekommen bist, diesen lautstarken, gewaltigen Mann zu heiraten.«
    Als er das sagte, hörte seine Mutter auf zu lachen. »Du redest von deinem Vater wie von einem Fremden«, sagte sie. »Das solltest du nicht tun. Ich habe ihn geheiratet, weil ich ihn so liebe, wie er ist. Als ich ihn traf, waren allerdings schon ein paar Jahre vergangen, seit mein Vater mir von diesem Besuch bei Urla erzählt hatte. Ich war inzwischen nicht mehr so verschlossen und hatte gelernt, anderen Menschen zuzuhören.« Jetzt lächelte sie wieder und setzte hinzu: »Das muß man bei deinem Vater allerdings gut gelernt haben, um zu verstehen, was der Große Brüller eigentlich sagen will.«
    Sie waren inzwischen längs des Zaunes wieder bis zu dem Rosentor gekommen, durchschritten es und gingen über den knirschenden Kies zum Haus zurück. Vor der Tür blieb die Mutter stehen, schaute zu der grauen Wolkenbank, die im Nordwesten über den Wäldern von Barleboog lag und sagte: »Gut, daß ich meine Blumenbeete schon abgedeckt habe. Morgen wird es schneien.«
    So geschah es dann auch. Der Winter kam von den Bergen herab und zog eine dicke Schneedecke über ganz Fraglund und das Land ringsum. Lauscher blieb die meiste Zeit im Haus; denn er liebte es nicht besonders, bei kaltem Wetter und eisigem Wind durch den knietiefen Schnee zu stapfen. Auch in dieser Hinsicht unterschied er sich von seinem Vater. Der Große Brüller war in diesen Wochen viel unterwegs, spannte oft schon am Morgen die Pferde vor seinen Schlitten und fuhr hinaus zu den Dörfern, um mit den Bauern Streitfälle zu besprechen, zu deren Schlichtung sie wegen der vielen Arbeit im Herbst keine Zeit gefunden hatten. Anfangs hatte er Lauscher aufgefordert, ihn zu begleiten und sich ›ein bißchen den scharfen Wind um die Nase wehen zu lassen‹, wie er das nannte, aber als er merkte, daß sein Sohn wenig Lust verspürte, an diesen Schlittenfahrten teilzunehmen, ließ er solche Vorschläge sein. Wenn er dann abends zurückkam, polterte er in seinem dicken, schneebestäubten Pelz in die Stube wie ein ungeschlachter Bär, riß sich die Fellmütze vom Kopf, blies die frostroten Backen auf und brüllte beispielsweise: »Heute singt der Schnee unter den Kufen, so kalt ist es! Ich hoffe, du hast eine heiße Suppe im Ofen, Frau!« Dann schälte er sich ächzend aus seinem Pelz und sagte noch: »Ihr wißt ja gar nicht, wie herrlich es ist, die Pferde über die Felder jagen zu lassen, daß einem der Schnee um die Ohren stiebt!«
    Solch heftige Vergnügungen waren Lauschers Sache nicht. Er saß oft stundenlang am Kaminfeuer, blickte in die Flammen und ritt in Gedanken schon weiter nach Osten, den Hütten von Arnis Leuten entgegen. Zuweilen holte er seine Flöte hervor und probierte allerlei Melodien aus, die ihm in den Sinn kamen. Aber es wollte nichts Rechtes daraus werden. Das silberne Rohr gehorchte wohl seinen Fingern, aber nicht anders als jede gewöhnliche Flöte auch. »Hübsche Liedchen flötest du da«, sagte seine Mutter dann schon

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