Stein und Flöte
einmal, und das klang so, als wundere sie sich ein wenig, wie man auf der Flöte ihres Vaters dergleichen Belanglosigkeiten spielen könne. Lauscher ließ das Flöten bald sein, wenn seine Mutter die Stube betrat. Oft setzte sie sich dann zu ihm ans Feuer, und er fragte sie nach der Zeit, in der sie noch bei ihren Eltern gewohnt hatte. Merkwürdigerweise hatte sie es nie erlebt, daß ihr Vater auf seiner Silberflöte gespielt hätte. Sie war sich wohl bewußt gewesen, daß er ein besonderer Mann war, aber über die Taten des Sanften Flöters hatte sie immer nur von anderen Leuten erzählen hören. Zu Hause bediente er sich allenfalls einer seiner Holzflöten, etwa um sich mit seiner Amsel zu unterhalten. Die Mutter erzählte auch, daß er ihr von seinen langen Reisen immer neue Lieder mitgebracht habe, die er ihr dann auf der hölzernen Flöte vorspielte, bis sie die Melodie selbst singen konnte.
An diesen Wintertagen bildete sich eine neue Vertrautheit zwischen Lauscher und seiner Mutter. Auch der Große Brüller merkte das und ließ gelegentlich eine Bemerkung darüber fallen. Offenbar ärgerte es ihn, wenn die beiden einander nur anzusehen brauchten, um sich über irgend etwas zu verständigen, oder gar unvermittelt zugleich anfingen zu lachen, ohne daß er den Grund dafür erkennen konnte. Vermutlich meinte er dann, daß sie über ihn lachten, was durchaus nicht der Fall war. »Ihr mit euren Heimlichkeiten!« brummte er dann. »Könnt ihr euch nicht laut unterhalten wie normale Menschen?«
So ging der Winter vorüber. Der Schnee schmolz von den Gartenbeeten, die Eiszapfen an der Dachkante tropften Tag und Nacht, und der Große Brüller ließ den Schlitten im Stall und ritt auf seinem grobknochigen Pferd aus. Eines Abends kehre er von einem solchen Ritt ziemlich mißgelaunt zurück. »Die Leute fangen schon an, über dich zu reden, Lauscher«, sagte er, als er seinen Sohn wieder einmal am Kamin sitzen und in die Flammen starren sah. »Heute hat mich ein Bauer gefragt, ob du krank seist oder gar gestörten Gemüts, weil du nie unter die Leute gehst: Du mußt endlich anfangen, etwas Vernünftiges zu tun, und wenn du schon nicht Richter werden willst, dann spiel meinetwegen den Leuten zum Tanz auf mit deiner Wunderflöte!«
»Das sollten sie sich lieber nicht wünschen«, sagte Lauscher und dachte an den Tanz in der Silbernen Harfe zu Draglop. Sein Vater konnte natürlich überhaupt nicht verstehen, was er damit sagen wollte, und brüllte: »Wozu ist dieses Flötending dann überhaupt nütze?«
»Jedenfalls nicht zur Belustigung deiner Bauern«, sagte Lauscher. »Aber du hast recht: Ich muß endlich etwas Vernünftiges tun. Sobald der letzte Schnee auf den Bergen abgetaut ist, werde ich zu Arnis Leuten reiten. Dort wird man die Künste eines Flöters zu schätzen wissen.«
Dieser Vorschlag entsprach wohl nicht eben den Vorstellungen, die sein Vater mit dem Begriff ›etwas Vernünftiges tun‹ verband. Aber er hatte die Hoffnung wohl aufgegeben, daß sein Sohn sich auf irgendeine Weise in jene Welt einfügen würde, die ihm selbst als die einzig vernünftige erschien. »Wenn es dir gefällt, wie diese ehemaligen Beutereiter um dich herumscharwenzeln …« sagte er verächtlich. »Mir scheint jedenfalls, daß sie sich mit ihren Zöpfen auch ihre Kühnheit abgeschnitten haben.«
»Waren sie dir lieber, als sie noch über unser Tal herfielen, um Beute zu machen und unsere Häuser abzubrennen?« fragte Lauscher.
»Damals mochte ich sie genauso wenig«, sagte der Große Brüller grimmig, »aber man wußte wenigstens, woran man mit ihnen war, und konnte ehrlichen Herzens auf sie dreinschlagen. Dieses freundliche Getue jedoch – das ist, als würde man von ihnen ständig ins Unrecht gesetzt.« Er brach unvermittelt seine Rede ab, als habe er im letzten Augenblick bemerkt, daß er drauf und dran war, seine eigene Unsicherheit zu verraten. So empfand Lauscher jedenfalls das plötzliche Schweigen seines Vaters, und es tat ihm mit einem Male leid, daß er sich mit ihm auf diesen Disput eingelassen hatte. »Laß mich zu diesen Leuten reiten«, sagte er begütigend. »Ich muß herausbekommen, was es mit diesem Stein auf sich hat, und bei Arnis Leuten werde ich es am ehesten erfahren können.«
»Meinetwegen«, sagte der Große Brüller sanfter, als es sonst seine Art war. »Ich muß mich wohl damit zufriedengeben, daß du überhaupt ein Ziel hast, wenn ich auch nicht begreifen kann, was du dort zu finden hoffst. Sag mir
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