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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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irgendwann einmal getroffen hat. Er nannte sich Arni mit dem Stein.«
    »Ich habe von seinem Tod gehört«, sagte der Sanfte Flöter, »und ich weiß auch, daß er dir seinen Stein geschenkt hat. Eigentlich hatte ich gehofft, dieses Kleinod würde dich vor den kalten Augen der Herrin von Barleboog schützen, aber du weißt wohl noch nicht recht, was du da besitzt.«
    »Weißt du es?« fragte Lauscher.
    »Auch ich weiß nicht alles«, sagte der Sanfte Flöter, »aber ein bißchen mehr als du weiß ich schon. Hat dir Arni etwas dazu gesagt?«
    »Ja«, sagte Lauscher. Ehe er starb, murmelte er einen Vers, der lautete so:
    Suche den Schimmer,
    suche den Glanz,
    du findest es nimmer,
    findst du’s nicht ganz.
    Kannst du mir sagen, was ich suchen soll?«
    »Nein, das kann ich nicht«, sagte der Sanfte Flöter. »Ich weiß nur eines: Du wirst es erst wissen, wenn du es gefunden hast.«
    »Wußte auch Arni es nicht?« fragte Lauscher.
    »Wer kann das sagen?« erwiderte der Sanfte Flöter. »Vielleicht hat er es in dem Augenblick erkannt, als er dir den Stein gab. Vielleicht hatte er aber auch aufgehört, danach zu suchen, und sich mit dem Trost zufriedengegeben, den er beim Betrachten des Steines empfand.«
    »Wo hast du Arni getroffen?« fragte Lauscher. »Ehe er starb, sagte er, daß er vielleicht besser in deiner Nähe geblieben wäre.«
    »Hat er das gesagt? Also hat er kein leichtes Leben bei den Beutereitern gehabt«, sagte der Sanfte Flöter, und dann erzählte er

Die Geschichte von Arni mit dem Stein
    Diese Ereignisse liegen viele Jahre zurück. Arni war damals nicht viel älter als du heute, Lauscher. Ich trieb mich zu dieser Zeit fern im Osten herum, zog auf meinem Maultier von Dorf zu Dorf und probierte die Kraft meiner Flöte aus. Als ich eines Tages irgendwo in der Steppe saß und mir ein Süppchen kochte, tauchten am Horizont zwei Reiter auf und jagten auf ihren struppigen Pferdchen in rasendem Galopp geradewegs auf den Platz zu, den ich mir zum Lagern ausgesucht hatte. Der eine schien den anderen zu verfolgen und holte ihn genau an der Stelle ein, wo ich saß. Da riß der andere seinen Gaul herum, beide zogen ihre Gürtelmesser aus der Scheide und fingen an, auf Leben und Tod miteinander zu kämpfen.
    Das störte meine Mittagsruhe empfindlich, und so holte ich meine Flöte aus der Tasche und blies ihnen ein Liedchen vor. Da ließen sie ihre Messer sinken, stiegen ab und kamen zu mir herüber. Ich sah sofort, daß sie Zwillinge waren; denn man konnte sie kaum auseinanderhalten: die gleichen flachnasigen, kühnen Gesichter, die gleichen dunkelbraunen Augen, die gleichen strähnigen schwarzen Zöpfe an den Schläfen, die gleiche breitschultrige, etwas kurzbeinige Gestalt, sogar ihre Kleidung unterschied sich nicht, und es waren auch die gleichen Gürtelmesser, mit denen sie aufeinander losgestochen hatten.
    »Wollt ihr mitessen?« fragte ich. »Ich habe da ein kräftiges Süppchen gekocht. Seid meine Gäste!«
    Eine solche Einladung auszuschlagen, ist dortzulande die schlimmste Beleidigung, und so nickten die beiden und setzten sich ans Feuer. Wir aßen meine Suppe, und sie schmeckte ihnen, denn ich hatte sie mit frischen Kräutern gewürzt. Dann wischten sie sich die Lippen und schauten mich erwartungsvoll an; denn in den Steppen des Ostens ist es üblich, daß der Gastgeber das Gespräch eröffnet, und während des Essens gehört es sich nicht, von belangvollen Dingen zu reden.
    »Ich danke euch«, sagte ich also, »daß ihr mein bescheidenes Mahl mit mir geteilt habt. Und nun würde ich gern erfahren, was zwei Brüder dazu treibt, mit den Messern aufeinander loszugehen.«
    Die beiden warfen einander einen finsteren Blick zu, starrten eine Zeitlang vor sich hin und fingen dann gleichzeitig an zu sprechen.
    »Halt«, sagte ich, »immer einer nach dem anderen. Und wenn ihr euch nicht einigen könnt, wollen wir würfeln, wer zuerst sprechen soll.«
    Ich kramte einen Ziegenknöchel aus der Tasche und sagte zu dem, der rechts von mir saß: »Für dich gilt die gelochte Seite«, und zum linken sagte ich: »Du hast die glatte.« Dann warf ich den Knöchel, und der rechte hatte das Wort.
    »Du kennst unsere Bräuche gut, Fremder«, sagte er.
    »Ein wenig«, sagte ich. »Nur von dem Brauch, daß Brüder einander ans Leben wollen, wußte ich noch nichts. Wer seid ihr überhaupt?«
    »Wir sind die beiden Söhne des Khans der Beutereiter«, sagte der Rechte. »Ich bin Hunli, und er ist Arni, Zwillinge, wie du siehst, und

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