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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Lauscher. »Du könntest mir dabei eine Hilfe sein, Falkenmädchen.« Er sah am Aufblitzen ihrer grünen Augen, daß ihr dieser Name gefiel.
    »Vertraust du mir schon so sehr?« fragte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm.
    »Ja«, sagte Lauscher; denn ihre Augen ließen ihm keine andere Wahl.
    Lauscher merkte in den folgenden Tagen, daß er nicht der einzige war, der Narzia solches Vertrauen entgegenbrachte. Immer wieder traf er Höni dabei an, wie er sich mit seiner Tochter über die Angelegenheiten von Arnis Leuten beriet, etwa wenn es darum ging, neue Handelswege zu erproben oder den Männern, die als Kaufleute in die Fremde aufbrachen, Hinweise zu geben, wie sie sich dort den Leuten gegenüber verhalten sollten.
    Als Lauscher die beiden zum ersten Mal bei einem solchen Gespräch antraf, wollte er die Stube wieder verlassen, aber Höni bat ihn an den Tisch und sagte: »Arni hat dir in seiner Weisheit, die auch uns zuteil werden möge, sein Vertrauen geschenkt, und so versteht es sich von selbst, daß dein Platz hier bei uns ist.«
    So nahm Lauscher seither an ihren Beratungen teil, wenn er sich auch anfangs mehr aufs Zuhören verlegte; denn er hatte Narzias Zurechtweisung nicht vergessen, daß er noch viel zu lernen habe. Und das mußte er in der Tat, um die Denkweise von Arnis Leuten zu begreifen. Zwar wurden wichtige Entscheidungen von der Versammlung aller Familienältesten getroffen, aber da diese ehemaligen Beutereiter von Alters her gewohnt waren, den Anordnungen ihres Khans zu gehorchen, warteten sie auch nach der Trennung von der Horde zunächst darauf, welche Vorschläge ihr Oberhaupt, das sie in Arnis Stellvertreter erblickten, ihnen machen würde. Auf diese Weise war Höni, ob er das nun wollte oder nicht, die Rolle eines Anführers zugefallen, dessen Anweisungen mehr oder minder widerspruchslos befolgt wurden. Vielleicht hatte Höni sich aus diesem Grunde angewöhnt, seine Gedanken mit seiner Tochter zu besprechen; denn Narzia fand sich durchaus bereit, ihm zu widersprechen oder gar eigene Vorschläge zu machen, ja, Lauscher gewann mit der Zeit den Eindruck, daß eigentlich sie es war, die hier das Heft in der Hand hatte. Höni pflegte solche Gespräche zumeist mit einer Frage zu beginnen, die zwar erkennen ließ, welche Sache ihn beschäftigte, aber nicht verriet, inwieweit er auch schon eine Meinung dazu hatte. Ob Narzias Antwort dann seine Meinung nur bestätigte oder ob er sich ihre Ansicht zu eigen machte, wurde Lauscher nie recht klar; er sah nur, daß zumeist das geschah, was Narzia vorgeschlagen hatte.
    »Dein Vater setzt großes Vertrauen in dich«, sagte er einmal nach einer solchen Beratung zu Narzia, als Höni die Stube verlassen hatte.
    »Er hat meine Mutter sehr geliebt und oft auf ihren Rat gehört«, sagte Narzia. »Als sie dann kurz vor der Großen Scheidung starb, hat er dieses Vertrauen auf mich übertragen.«
    »Du siehst deiner Mutter wohl sehr ähnlich?« sagte Lauscher, wieder einmal gefesselt von ihren grünen Augen.
    Narzia blickte ihn lächelnd an. »Das mag sein«, sagte sie. »Man kann nicht gerade behaupten, daß ich meinem Vater gleiche.«
    »Auch keiner der Frauen, die ich hier bei euch gesehen habe«, sagte Lauscher. »Deine Mutter muß sehr schön gewesen sein.«
    »Sie stammte nicht aus den Zelten der Beutereiter«, sagte Narzia. »Mein Vater hat sie auf einem langen Ritt gefunden, der ihn bis weit hinunter nach Süden in die Ebene des Braunen Flusses führte, wo die Falkenleute in ihren Steinhäusern leben.«
    »Hat er sie auf einem Beutezug geraubt?« fragte Lauscher, fasziniert von dieser abenteuerlichen Möglichkeit.
    Narzia lachte hell auf. »Da sieht man wieder, daß du noch wenig von den Sitten der Steppe weißt«, sagte sie. »Ich kann mich nicht entsinnen, daß ein Mann aus der Horde je eine erbeutete Sklavin geheiratet hätte. Geschlafen hätte er schon mit ihr, aber nie hätte er ihr die Rechte einer Ehefrau zugestanden. Nein, mein Vater ritt damals mit einer Gesandtschaft des Khans zum Großmagier der Falkenleute, um einen Vertrag mit ihm zu schließen. Hunli schien es nützlich, diesen vieler Geheimnisse kundigen Mann nicht zum Feind zu haben, und mein Vater hatte den Auftrag, eine Grenzlinie auszuhandeln, die von beiden Seiten nicht überschritten werden sollte.
    Er hat mir oft davon erzählt, wie er mit einem Dutzend seiner Reiter stromabwärts am Braunen Fluß entlang geritten ist, bis er das Gebiet der Falkenleute erreichte. Dort in den Niederungen

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