Stein und Flöte
etwa um von einer Tonart in die andere zu gelangen oder ein sanftes Liebeslied nicht gar zu hart neben den stampfenden Rhythmus eines Holzfällertanzes zu setzen. Den Zuhörern mag es dabei nur auf die mehr oder minder bekannten Melodien angekommen sein; denn die Leute hören ja am liebsten immer das, was sie schon einmal gehört haben und mitpfeifen können. Für Lauscher jedoch waren diese Zwischenspiele die Hauptsache. Ohne daß es den Leuten, die sich rings um ihn versammelt hatten, zu vollem Bewußtsein kam, weckte er mit wenigen Tonketten und Motiven in ihnen flüchtige Bilder von Arnis freundlicher Gesinnung oder vom friedlichen Leben in der Ansiedlung von Arnis Leuten. Da mochte etwa einem der zuhörenden Händler die Vorstellung einer Hand in den Sinn kommen, die reichlich Silbermünzen mit Arnis geprägtem Bild für seine Ware bot; ein anderer kam unversehens auf den Gedanken, wie angenehm es wäre, wenn er seine schwergewichtigen Schmiedearbeiten nicht mehr selbst von Ort zu Ort zum Verkauf anbieten müsse, und sogleich tauchte in diesem Zusammenhang das Bild ledergekleideter Händler auf, die bereit waren, solche Mühsal an seiner statt auf sich zu nehmen. Auf diese Weise schmuggelte Lauscher seine Konterbande unmerklich in die Herzen der Leute, und jeder, der ihm zuhörte, hätte schließlich auf eine entsprechende Frage hin ohne Zögern beteuert, daß er eigentlich schon von jeher dafür gewesen sei, mit den Leuten Arnis jenseits des Gebirges in Handelsbeziehung zu treten.
Nach einer solchen Überleitung spielte Lauscher schließlich auch die Ballade von Klein Rikka. Zu seiner Überraschung hörte er, daß von Anfang an jemand den Text mitsang, und als er nach dem Sänger Ausschau hielt, entdeckte er in der Menge den brandnarbigen Eisenschmelzer, der mit einer erstaunlich wohlklingenden Tenorstimme die Ballade vortrug. Das gefiel den Leuten so gut, daß sie sogar Silbermünzen in Lauschers Hut warfen und das Ganze sogleich noch einmal hören wollten. Es versteht sich, daß Lauscher ihnen diese Bitte nicht abschlug. Schiefmaul hatte sich mittlerweile zu ihm hindurchgedrängt und ihn mit Herzlichkeit begrüßt wie einen alten Freund. Dann stellte er sich in Positur und gab, sobald Lauscher wieder mit der Ballade begann, sein Bestes.
Während Lauscher flötete und dabei die Gesichter seiner Zuhörer musterte, traf sein Blick auf eine Frau, deren Augen ihn sogleich fesselten, Augen von schwer zu beschreibender Farbe, die ihm vertraut waren. Er konnte den Blick nicht von diesen Augen lassen, solange er spielte, und auch dann noch nicht, als er seine Flöte schon abgesetzt hatte. Die Zuhörer hielten den Auftritt für beendet und begannen sich zu verlaufen. Die Frau jedoch trat auf ihn zu und sagte: »Es freut mich, daß Arnis Andenken auf solche Weise lebendig erhalten wird. Woher kennst du diese Geschichte?«
»Mein Großvater hat sie mir erzählt«, sagte Lauscher, »und der hat sie von deiner Schwester Rikka gehört. Oder bist du nicht Akka, die Frau des Erzmeisters?«
Die Frau schaute ihn verwundert an und sagte: »Woher kennst du mich, Flöter? Ich weiß nicht, wie du heißt, und habe dich noch nie gesehen.«
»Ich dich auch nicht«, sagte Lauscher, nannte ihr seinen Namen und fügte hinzu: »Bei Rikka bin ich schon zweimal zu Gast gewesen, und es ist nicht zu verkennen, daß du ihre Schwester bist.«
Die beiden glichen einander in der Tat, wie Zwillinge sich nur gleichen können. Auch Akkas Haar begann schon vor der Zeit weiß zu werden, doch ihr Gesicht war noch jung und glatt wie das Rikkas. Akka dankte jetzt auch dem Eisenschmelzer für seinen Gesang und sagte dann zu Lauscher: »Willst du mir die Freude machen, als Gast in mein Haus zu kommen? Ich habe seit langer Zeit nichts mehr von meiner Schwester gehört. Du mußt mir viel von ihr erzählen!«
Lauscher dankte ihr für die Einladung, steckte seine Flöte ein und folgte Akka durch das Getriebe der Marktgassen bis zu einem großen, steinernen Haus, in dem er schon bei seiner Ankunft den Wohnsitz des Erzmeisters vermutet hatte. Sie gingen eben auf die mit kunstvoll geschmiedeten Eisenbeschlägen geschmückte Tür zu, als diese aufgestoßen wurde und ein etwa zwölfjähriges Mädchen herausgelaufen kam. Es rannte zu Akka hin und rief: »Hast du mir vom Markt etwas mitgebracht?«
Akka blieb stehen und sagte lachend: »Du benimmst dich ja, als sei ich wochenlang unterwegs gewesen, Arnilukka! Schau, was ich für dich gefunden habe, du kleine
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