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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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besonders wertvollen Schmuck zu greifen, so merkte er bald, daß die Goldschmiede stolz darauf waren, wenn er das nach ihrer Meinung gelungenste Stück wählte.
    So kamen sie schließlich auch zu einem Meister, der sich auf die Gestaltung von Gewandfibeln verlegt hatte, die er mit allerlei Tierfiguren verzierte, Hirschen mit weit zurückgeschwungenem Geweih, Steinböcken, deren Gehörn einen Bogen vom Kopf bis zum Stummelschwanz des Tieres schlug, breitgeflügelten Adlern und anderen Greifvögeln. Darunter befand sich auch ein auffliegender Falke, dem als Auge ein moosgrün funkelnder Smaragd von beträchtlicher Größe eingesetzt war. Sobald er diese Fibel sah, wußte Lauscher, was er Narzia mitbringen würde. Als er den fast fingerlangen Vogel in die Hand nahm, sagte der Goldschmied: »Du hast gut gewählt. Seit Jahren ist mir kein Werkstück so gut geglückt wie dieser Falke. Möge er dir und uns allen Glück bringen.«
    »Du sprichst aus, was ich eben gedacht habe«, sagte Lauscher und fragte sich, ob der Meister in seinen Augen hatte lesen können, wem er diese Fibel zugedacht hatte. Jetzt, da er sie bei sich trug, wäre er am liebsten gleich losgeritten, um Narzias Augen zu sehen, wenn sie den goldenen Falken aus seiner rehledernen Umhüllung zog, aber dafür war es an diesem Tag zu spät, wenn er die Nacht nicht schutzlos im Gebirge verbringen wollte. Über dem Betrachten und Auswählen der Kostbarkeiten waren tatsächlich der ganze Vormittag und noch ein Teil des Nachmittags vergangen.
    Am Abend dankte Lauscher der Frau des Erzmeisters für ihre Gastfreundschaft und wollte sich zugleich von ihr verabschieden, da er nicht wußte, ob er bei seinem frühen Aufbruch Gelegenheit dazu haben würde. »Damit eilt es nicht«, sagte Akka. »Wenn du erlaubst, werde ich dich morgen noch ein Stück begleiten. Ich muß mit zwei Knechten zu Urlas Hütte reiten, um dort nach dem Rechten zu sehen. Zwar wohnt niemand mehr in dem Haus, seit Urla gestorben ist, aber es soll nicht verfallen, damit ihr Andenken erhalten bleibt.«
    So brauchte Lauscher am nächsten Morgen nicht allein durch den Frühnebel talaufwärts zu reiten. An seiner Seite trabte Akka auf einem kräftigen Maultier, und auch ihre Knechte waren auf gleiche Weise beritten, da diesen schmalhufigen Tieren das Steigen im Gebirge leichter fiel als den schwerer gebauten Pferden, die bei den Bergdachsen gehalten wurden. Arnilukka blieb mit ihrem Vater bei der Haustür zurück, als die kleine Kavalkade über den Marktplatz trabte, und rief Lauscher nach: »Komm bald wieder! Wenn du mich zu lange warten läßt, suche ich dich bei Arnis Leuten!«
    »Du hast ihr viel Freude gemacht mit deinen Liedern«, sagte Akka, als sie an den letzten Häusern von Arziak vorüberritten. »Und auch ich habe noch nie einen Flöter gehört, der so zu spielen versteht wie du. Mein Vater erzählte mir einmal, daß er in seiner Jugend einen Freund gehabt habe, der auch ein solcher Meister auf der Flöte war. Ich stelle mir vor, daß er auf ähnliche Weise gespielt haben muß wie du.«
    »Das kann schon sein«, sagte Lauscher. »Dieser Mann war mein Großvater. Man nannte ihn den Sanften Flöter, und ich bin bei ihm in die Lehre gegangen.«
    »Dann war es kein Zufall, daß ich an ihn denken mußte, als ich dir zuhörte«, sagte Akka. »Weißt du, daß du große Macht über die Menschen gewinnst, wenn du so flötest?«
    Lauscher blickte sie an. Hatte sie sein Spiel durchschaut? Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, als versuche sie zu erkunden, was hinter seiner Stirn vorging. »Ich versuche, mein Bestes zu geben«, sagte er ausweichend.
    »Daran zweifle ich nicht«, sagte sie. »Du solltest dir aber bewußt sein, was du damit bewirken kannst. Mein Vater hat sonderbare Geschichte von diesem Sanften Flöter erzählt.«
    »Er war sicher ein kluger Mann«, sagte Lauscher, »aber zaubern konnte auch er nicht.«
    »Jetzt redest du wie mein Mann«, sagte Akka. »Das wundert mich.«
    »Warum wundert dich das?« sagte Lauscher. »Hältst du jeden für einen Zauberkünstler, der ein bißchen Musik zu machen versteht? Mein Großvater hat mich einmal ziemlich scharf zurechtgewiesen, als ich etwas dergleichen von ihm erwartete.«
    »Das wollte ich damit auch gar nicht sagen«, antwortete Akka. »Aber er war wohl kein Mensch, der sich nur auf seine eigene Klugheit verläßt.«
    Damit mochte Akka recht haben, dachte Lauscher. Aber er fragte sich auch, wohin man geraten mochte, wenn man an der Verläßlichkeit

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