Stein und Flöte
Bachlaufs abzuschneiden, und deren gab es unzählige. Bis zu den Waldhängen auf beiden Seiten breitete sich die Wiese flach wie ein Teller aus, und der Bach hatte sich seinen Weg auf höchst eigenwillige Weise über den Talboden gesucht, schwenkte einmal nach links, dann wieder nach rechts, schlug fast einen Kreis, daß er auf einmal in die entgegengesetzte Richtung floß, und bog erst wieder ab, als er dicht an sein eigenes Bett geriet, und so waren die beiden fast eine Stunde unterwegs und hatten doch erst eine Strecke zurückgelegt, die sie in einem Viertel der Zeit hätten laufen können, wenn sie geradeaus gegangen wären. Aber das leise glucksende Wasser hatte es Arnilukka angetan. Immer wieder einmal beugte sie sich im Gehen hinunter und streifte mit den Fingerspitzen durch die Strömung, als liebkose sie ein lebendiges Wesen.
So kamen sie zu einer Stelle, an der sich der Bach vor einer leichten Bodenwelle zu einem runden Teich aufgestaut hatte, ehe er durch einen schmalen Durchlaß weiterfloß. Ringsum am Ufer standen einzelne Kopfweiden und streckten ihre frisch begrünten Rutenbüschel wie riesige Pinsel in den blauen Himmel. Manche standen mit dem Fuß im Wasser, getragen von ihrem Spiegelbild, dessen Rutenpinsel nach unten ragte, als sei der Boden hier durchsichtig, so daß man die Wurzeln sehen konnte.
»Hier ist mein Lieblingsplatz«, sagte Arnilukka und setzte sich auf die knollige Wurzel einer der Weiden, die dicht am Wasser stand. Lauscher setzte sich neben sie und schaute auf die kleine Wasserfläche, in deren Mitte eben eine Forelle sprang und einen Wellenkreis hinterließ, der sich langsam ausbreitete.
»Hier gibt’s Fische«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte Arnilukka. »Willst du meine Freunde kennenlernen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, holte sie ein Stück Brot aus der Tasche und fing an, ein sonderbares Liedchen zu singen, dessen Text nicht zu verstehen war. Jedenfalls konnte Lauscher keinen Sinn in diesen zwitschernden und gurrenden Silben finden, die das Mädchen seinem Singsang unterlegte. Aber im Teich schienen Wesen zu wohnen, denen diese Sprache vertraut war. Unversehens begann das Wasser zu ihren Füßen sich zu kräuseln, aufzuwallen, schmale Schatten schossen über den kiesigen Grund, und dann sprangen die Fische, zu Dutzenden schnellten sie sich aus dem Wasser, schlugen blitzende Bogen durch die Luft und tauchten wieder zurück in ihr Element, ein sprühender Wirbel von Tropfen funkelte in allen Farben des Regenbogens.
Arnilukka zerbröselte das Brot und hielt es auf der flachen Hand über die Wasseroberfläche. Sogleich beruhigte sich der Wirbel silbrig geschuppter Leiber; die Fische kamen herbei, nicht rasch und scheu, sondern langsam und ruhig. Jetzt tauchte Arnilukka ihre Hand unter, und ihre Freunde nahmen vorsichtig mit gerundeten Lippen ihre Bissen, schmiegten sich in die Handfläche des Mädchens und ließen sich anfassen und streicheln. Arnilukka sprach währenddessen einzelne Worte, als rede sie ihre Freunde an, ja Lauscher schien es fast, als nenne sie jeden einzelnen beim Namen.
»Jetzt kann ich verstehen, warum dich deine Mutter ›kleine Wassernixe‹ nennt«, sagte Lauscher. »Deine Fische folgen dir aufs Wort.«
Arnilukka hatte ihr Brot inzwischen verfüttert und lehnte sich an den Stamm der Weide zurück. Sie dachte eine Weile nach und sagte dann: »Mein Vater behauptet, das sei eine ganz natürliche Sache. Seit ich den Fischen zum ersten Mal Futter gestreut hätte, würden sie von ihrer Freßgier zum Ufer getrieben, sobald ich über der Böschung auftauche und meine Hand übers Wasser halte.«
»Hast du nicht auch mit deinen Freunden gesprochen?« sagte Lauscher. »Es hörte sich jedenfalls so an.«
Arnilukka zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist das nur ein Spiel, das ich mir ausgedacht habe«, sagte sie.
»Hat auch das dein Vater gesagt?« fragte Lauscher.
Arnilukka gab das zu und fuhr fort: »Er sagt, man könne nicht mit Tieren reden.« Es war ihr anzusehen, daß sie sich dessen durchaus nicht sicher war, obwohl es ihr offenbar schwerfiel, die Meinung ihres Vaters anzuzweifeln.
»Mein Großvater unterhielt sich immer mit einer Amsel«, sagte Lauscher. »Und du redest mit Wölfen, wenn ich auch glaube, daß dies eigentlich gar kein Wolf war, was du dort oben am Waldrand begraben hast«, sagte Arnilukka und schaute Lauscher mit ihren dunklen Augen an, in denen der Widerschein der bewegten Wasserfläche flirrte.
»Du solltest nicht mehr an diese
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