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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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seines eigenen Verstandes zu zweifeln begann. Wonach sollte man sich richten, wenn nirgends eine greifbare Wegmarke den Horizont in meßbare Abschnitte gliederte? Das würde sein, als ritte man ohne Weg und Ziel über die grenzenlose Steppe, und selbst dort gab es ja noch das ewig kreisende Muster der Gestirne, das dem Kundigen die Richtung wies, wenn er bereit war, sich den Gesetzen ihrer Bewegung anzuvertrauen. Was aber, wenn diese Lichtpunkte einmal ihre geregelte Bahn verlassen sollten? Wer sagte einem, daß sie dies nicht längst getan hatten, ohne daß man es hätte merken können? Lauscher wurde bewußt, daß er in Akkas Augen starrte, dieses schwer zu beschreibende Farbenspiel zwischen Blau, Grün und Violett, in dem er sich schon so oft verloren hatte.
    »Du bist gar nicht so sicher, wie du zu sein vorgibst«, sagte sie lächelnd, und es schien ihm, als sei sie zufrieden mit dieser Feststellung. Er wendete seinen Blick ab und tat so, als müsse er am Riemzeug seines Pferdes etwas in Ordnung bringen. Diese Frauen aus Urlas Sippe können einen in ziemliche Verwirrung bringen, dachte er. Unter ihren Blicken schien sich alles als trügerisch zu erweisen, worauf er sich bisher verlassen hatte, aber er fühlte sich dennoch nicht verloren, wenn er auch nicht begreifen konnte, worauf sich dieses wärmende Vertrauen stützte, das er empfand.
    So war es alles in allem ein angenehmes Reiten in Akkas Gesellschaft. Die beiden Knechte waren ein Stück hinter ihnen zurückgeblieben. Promezzo hatte sie wohl vor allem zum Schutz seiner Frau mitgeschickt; jedenfalls war jeder von ihnen mit einem Kurzschwert und einem Jagdbogen bewaffnet. Sie genossen den Ritt wie einen freigegebenen Tag, schwatzten und lachten und schienen sich kaum Sorgen zu machen, daß ihrer Herrin etwas geschehen könne, obwohl sie mittlerweile schon an der Eisenschmelzerei vorüber waren und den steilen Weg durch den Wald zum Paß hinaufritten. Bald hatten sie die Höhe hinter sich und sahen voraus im Felsenmeer der zerklüfteten Hochfläche das Grabmal der Beutereiter aufragen.
    »Wenn Arnis Leute künftig hier über den Paß ziehen«, sagte Lauscher, »wird mancher von ihnen seine toten Vorfahren grüßen können.«
    Akka blickte ihn überrascht an und sagte: »Woher weißt du, was dies für ein Mal ist? Warst du schon einmal hier?«
    Lauscher merkte, daß er sich beinahe verraten hätte, und biß sich auf die Lippen. »Ich kenne die Geschichte Urlas«, sagte er dann. »Rikka hat sie mir erzählt.«
    »Ich hoffe, daß auch Arnis Leute Urlas Geschichte nicht vergessen haben«, sagte Akka.
    »Das haben sie bestimmt nicht«, sagte Lauscher, »das kann ich dir beweisen.« Er zog eine der Silbermünzen aus seinem Beutel und zeigte Akka das geprägte Bild von Urlas Kopf. »Mit diesem Geld pflegen Arnis Leute zu bezahlen«, sagte er. »Der Reiter auf der anderen Seite soll deinen Vater darstellen.« Akka bat sich die Münze aus, um sie genau zu betrachten, und Lauscher schenkte sie ihr.
    Als sie zu Urlas Hütte kamen, hatte die Sonne schon ihren höchsten Stand überschritten. »Ich hoffe, du ißt noch mit uns, ehe du weiterreitest«, sagte Akka, »Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu Arnis Haus, wenn auch seit Jahren niemand mehr diesen Weg gegangen ist.«
    Lauscher wußte es besser, aber er schwieg. Nachdem sie abgestiegen waren und ihre Reittiere angebunden hatten, öffnete Akka die Haustür und sagte zu Lauscher: »Komm herein und sei mein Gast!« Unwillkürlich spähte Lauscher nach dem Falken aus, der ihn wenige Tage zuvor in die Hütte gescheucht hatte, aber der Himmel war leer. So trat er diesmal etwas weniger hastig ein, und sogleich atmete er wieder den Duft von Kiefernholz und Kräutern und all jenen Dingen, mit denen Urla ihre Tage verbracht hatte. Akka bat ihn an den runden Tisch und begann am Herd zu hantieren. »Ich kann dir in der kurzen Zeit zwar kein Festmahl bieten«, sagte sie, »aber du sollst nicht hungrig in das Dorf von Arnis Leuten reiten.«
    Inzwischen waren auch die beiden Knechte nachgekommen. Akka ging zu ihnen hinaus, wies ihnen irgendeine Arbeit an und kehrte dann mit einer Packtasche zurück, aus der sie allerlei nahrhafte Dinge zu Tage förderte, ein Stück Fleisch, Gemüse und Zwiebeln, Käse, Brot und einen Krug Milch. Das Feuer im Herd war mittlerweile in Gang gekommen, und bald mischte sich in den angestammten Geruch der Stube der Duft einer kräftigen Suppe. Auf ähnliche Weise mochte auch Urla ihre Gäste bewirtet

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