Stein und Flöte
unsere Antwort warten lassen. Pack diese Sachen wieder ein, Lauscher, damit sie nicht unbeaufsichtigt hier liegenbleiben!« Dann stand er auf und ging.
Lauscher saß eine Zeitlang schweigend Narzia gegenüber und schaute ihr in die Augen. Dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten und fragte: »Bist du nun zufrieden mit mir?«
Narzia zögerte, ehe sie antwortete. Dann sagte sie: »Du hast alles erreicht, was Arnis Leute von dir erwartet haben. Und überdies hast du noch ein paar hübsche Sachen mitgebracht. War das alles, was du bei den Meistern von Arziak gefunden hast?«
Jetzt lachte Lauscher triumphierend und sagte: »Ich habe mir schon gedacht, daß keines der Stücke gut genug für dich ist. Aber das beste habe ich für dich aufgespart.« Und dann nahm er den goldenen Falken aus seiner ledernen Umhüllung und legte ihn in ihre Hand. Narzias Augen leuchteten auf, als sie erkannte, was die Fibel darstellte. Lauscher schaute ihr bewundernd zu und dachte: Wie sie sich gleichen, der goldene Vogel mit den Smaragdaugen und mein Falkenmädchen!
»Willst du sie mir anstecken?« fragte Narzia und stand auf. Lauscher ging zu ihr und befestigte die Fibel über ihrer linken Brust. Seine Hand zitterte, als er ihren warmen Körper unter dem leinenen Obergewand spürte. Wieder legte Narzia ihre Hand auf seine linke Wange, doch diesmal beugte sie sich zu ihm und küßte ihn auf die andere. Es war ein rasch hingehauchter Kuß, eher schon ein flüchtiges Streicheln mit den Lippen, aber Lauscher schlug das Herz bis zum Halse.
Ehe er sie umarmen konnte, schob sie ihn schon wieder von sich und sagte: »Setz dich, Lauscher! Ich muß mit dir reden.«
Wenn er erwartet haben sollte, daß sie nun mit ihm über den Zeitpunkt ihrer gemeinsamen Hochzeit reden wollte, dann hatte er sich gewaltig getäuscht. Sie machte auch keine langen Umschweife, sondern sagte gleich: »Du wirst noch eine zweite Fahrt für Arnis Leute unternehmen müssen, wenn deine Wünsche sich erfüllen sollen, und diesmal geht es um eine Sache, an der du selbst nicht ganz unschuldig bist. Während du bei den Bergdachsen warst, kam ein Abgesandter Khan Hunlis und wünschte meinen Vater in einer ernsten Angelegenheit zu sprechen. Um es kurz zu machen: Hunli hat auf irgendeine Weise erfahren, daß der Mann, der ihn mit samt seinen Reitern über die Steppe gejagt hat, hier bei uns lebt, noch dazu in hohen Ehren, und dies gefällt ihm gar nicht. Er ließ ausrichten, daß er zwölf Pferde bei diesem hinterlistigen Streich verloren habe, die wir ihm ersetzen sollen.«
»Habe ich nicht das mehrfache ihres Wertes aus Arziak mitgebracht?« sagte Lauscher, doch Narzia gebot ihm mit einer Handbewegung, sie nicht zu unterbrechen, und fügte hinzu: »Das ist noch nicht alles. In Hunlis Botschaft hieß es weiter, wenn der Träger des Steins solch ein bedeutender Mann sei, dann solle er auch den Mut haben, persönlich die Pferde zu überbringen und ihm bei dieser Gelegenheit auf die eine oder andere Art Genugtuung zu leisten. Man könne ja zum Beispiel um dies oder jenes spielen, wie es bei den Beutereitern Sitte sei.«
Nach diesen Worten schwieg Narzia und blickte Lauscher mit ihren grünen Augen an. Er konnte sich denken, was mit ›dies oder jenes‹ gemeint war. Es wäre nicht das erste Mal, daß jemand im Zelt des Khans um seine Freiheit oder gar um sein Leben spielen mußte. Andererseits konnte er diese Herausforderung nicht ausschlagen, wenn er nicht für einen Feigling gehalten werden wollte. Mit seinem Ansehen bei Arnis Leuten würde es dann jedenfalls vorbei sein, und an seine Werbung um Narzia brauchte er gar nicht mehr zu denken. Er konnte in ihren Augen lesen, was sie von ihm erwartete. »Du meinst also, ich soll diesen Ritt unternehmen«, sagte er.
»Meinst du das nicht?« fragte Narzia und zog befremdet die Augenbrauen hoch.
»Doch, natürlich«, sagte Lauscher rasch. »Ich frage mich nur, was Hunli mit mir wird spielen wollen.«
»Was denn schon?« sagte Narzia. »Vermutlich Schach. Denn in Reiterspiele wird er sich in seinem Alter nicht mehr einlassen wollen, und es wäre zudem nicht sonderlich ehrenvoll für dich, gegen einen Greis zum Wettkampf mit Waffen anzutreten, obwohl er auch darin noch seinen Mann stehen dürfte. Kannst du Schach spielen?«
»Ich weiß, wie man die Figuren zieht, aber das ist auch schon alles«, sagte Lauscher. »Er würde mich vermutlich mit ein paar Zügen schlagen.«
»Da ließe sich Abhilfe schaffen«, sagte Narzia
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