Stein und Flöte
so dicht zusammen, daß kaum noch Licht von oben hereinfiel. Hier geriet Lauschers Pferd fast in Panik. Er mußte es am Kopfriemen packen, damit es sich nicht losriß. So gingen sie etwa eine Stunde, manchmal auf dem schmalen Uferstreifen, manchmal auch durch seichtes Wasser. Lauscher hatte das beklemmende Gefühl, immer tiefer in eine Höhle hineinzugeraten, aus deren dämmriger Düsternis es keinen Ausweg gab. Auch Promezzo schien sich hier nicht sonderlich wohl zu fühlen und warf von Zeit zu Zeit einen Blick nach oben, als erwarte er im nächsten Augenblick einen Steinschlag. Arnilukka schaute die meiste Zeit in das strudelnde Wasser. Das war hier, wo jeder Ausblick ins Freie durch schroffe Felswände verwehrt war, wohl ihr einziger Trost.
Endlich traten die Felsen nach und nach auseinander und gaben nach einer letzten Biegung den Blick auf bewaldete Höhen und smaragdgrüne Wiesenhänge frei. Promezzo deutete nach vorn und rief: »Das Tal von Arziak!« Man konnte seiner Stimme die Erleichterung anhören, daß er mit heiler Haut aus der Klamm herausgekommen war. Zu Mittag aßen sie in einem Dorfgasthaus, aber sie mußten noch bis in die Nacht hinein talaufwärts reiten, bis sie wieder nach Hause kamen.
In dieser Nacht segelte wieder der grünäugige Falke durch Lauschers Träume. Doch diesmal ließ er sich greifen. Lauscher strich ihm mit der Hand über Hals und Rücken, und unter seinen Fingern verwandelte sich das kühle, glatte Gefieder in warme Haut. »Wann kommst du endlich zurück, Lauscher?« sagte Narzia und legte ihm ihre Arme um den Hals. »Weißt du nicht, daß ich auf dich warte?« Er wollte ihren Mund küssen, aber ehe er ihn erreichte, schlugen ihm harte Schwungfedern ins Gesicht, der Falke entglitt seinen Händen und flog auf. Eine Zeitlang sah er ihn noch über sich kreisen, dann strich der Vogel nach Osten ab, wurde kleiner und kleiner, ein dunkler Punkt am Himmel, den er gleich darauf aus den Augen verlor und nicht mehr wiederfinden konnte.
Dieses Traumbild stand ihm noch deutlich vor Augen, als er aufwachte, und er beschloß, noch an diesem Tage aufzubrechen. Es war früh am Morgen. Durch das Fenster floß fahles Dämmerlicht ins Zimmer und breitete sich wie blasser Nebel auf dem Teppich aus. Lauscher sprang aus dem Bett, zog sich rasch an und ging hinunter ins Haus. Auf der Treppe fiel ihm ein, daß ein Auftrag noch unerledigt war: das Schmuckstück, um das Narzia ihn gebeten hatte. Aber diese Sorge wurde ihm gleich darauf abgenommen.
Unten in der Stube traf er Promezzo an, der offenbar ein Frühaufsteher war und schon bei seiner Morgenmilch saß. Lauscher sagte ihm, daß er noch heute über den Paß zu Arnis Leuten reiten wolle.
»Auf einen Tag mehr oder weniger wird es dir wohl nicht ankommen«, sagte Promezzo. »Wenn du schon mein Bote sein willst, dann mußt du noch etwas mitnehmen. Die Goldschmiede von Arziak haben vorgeschlagen, daß du aus jeder Werkstatt ein Schmuckstück aussuchen sollst, damit du bei Arnis Leuten etwas vorzuweisen hast. Ihre Händler sollen sehen, was es bei uns einzukaufen gibt. Dafür werden wir wohl den heutigen Tag brauchen; denn es gibt hier viele Goldschmiede, und sie haben allesamt während des Winters fleißig gearbeitet.«
Lauscher hatte schon oft die Kunstfertigkeit der Handwerksmeister im Gebirge rühmen hören und auf dem Jahrmarkt auch Beispiele davon bewundert; was er jedoch an diesem Tage zu sehen bekam, übertraf alle seine Erwartungen. Während er mit Promezzo von Werkstatt zu Werkstatt ging, begann er auch zu begreifen, warum er von jedem Meister ein Stück mitnehmen sollte; denn jeder von ihnen betrieb einen besonderen Zweig seiner Kunst. Der eine verstand goldene Ketten herzustellen, deren haarfeine Glieder so kunstreich ineinandergeschlungen waren, daß man meinte, einen massiven Goldring vor sich liegen zu sehen, bis man das Gebilde in die Hand nahm und fühlen konnte, wie es sich schlangengleich in jede Falte der Haut schmiegte. Ein anderer schmiedete Gürtelschnallen aus Silber, in die fein gesponnenes Rankenwerk aus goldenem Draht eingehämmert war. Der nächste verfertigte goldene Zierknöpfe und Beschläge für das Zaumzeug von Pferden. Dann gab es einen, der Fingerringe bog, schmale und breite, glatte und punzierte, manche davon mit prächtig gefaßten edlen Steinen. Überall suchte sich Lauscher ein Stück heraus, von dem er meinte, daß es bei Arnis Leuten Anklang finden würde, und wenn er anfangs gezögert hatte, nach einem
Weitere Kostenlose Bücher