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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Flöter.«
    »Als ich kam, wußte ich nicht viel«, sagte ich, »aber jetzt weiß ich schon ein bißchen mehr.«
    »Deine Flöte spricht zu dir«, sagte der Alte. Er schien sich nicht weiter darüber zu wundern.
    »Und mein Stein spricht zu mir«, sagte Arni. An der Art, wie er das sagte, erkannte ich, daß er ähnliches gesehen haben mußte wie ich.
    »Eine große Gabe hat Urla dir verliehen«, sagte Kruschka zu Arni. »Ich danke auch dir, daß du deinen Stein in meiner schlechten Hütte gezeigt hast.«
    »Ich bin froh, daß du mir deine Gastfreundschaft schenkst«, sagte Arni, »und es tut mir leid, daß ich deine Leute vorhin erschreckt habe.«
    Damals wunderte ich mich, diese Worte von einem Beutereiter zu hören, aber ich wußte auch noch nicht viel von der Eigenart des Steins und lernte eben erst die Kraft meiner Flöte kennen. Bei Urla hatte ich zum ersten Mal begriffen, daß dies mehr war als ein Spiel. Und in Kruschkas Haus war ich damit wieder ein Stück weitergekommen. Seine Frau richtete uns bald danach neben dem Feuerplatz ein Lager her, und ich schlief in dieser Nacht tief und traumlos.
    Am nächsten Morgen wurden wir davon geweckt, daß Reiter ins Dorf sprengten. Die gellenden Rufe der Beutereiter und das Knallen ihrer Peitschen mischte sich bald mit den Angstschreien von Mädchen. Arni sprang auf und lief zum Eingang. Ich folgte ihm und sah, als er die Tür aufstieß, wie draußen Hunli mit einer Schar seiner Reiter die Mädchen zusammentrieb, die morgens Wasser am Fluß geholt hatten. Ihre umgekippten Eimer rollten zwischen den Hufen der Pferde über die Dorfstraße.
    Arni stürzte hinaus zu seinem Bruder und packte dessen Pferd am Zügel. »Hunli!« schrie er. »Laßt die Mädchen in Ruhe!«
    Hunli blickte ihn verblüfft an. »Was tust du hier, Arni?« fragte er. »Warum sollen wir uns bei den Schlammbeißern nicht ein paar Mädchen holen, wie es Brauch ist seit je?«
    »Ein schlechter Brauch«, sagte Arni. »Muß man etwas Schlechtes tun, nur weil es Brauch ist? Reitet nach Hause!«
    »Was fällt dir ein!« sagte Hunli spöttisch von seinem Pferd herab. »Seit wann steht ein Beutereiter auf der Seite der Schlammbeißer?«
    »Auf der Seite der Karpfenköpfe«, sagte Arni. »Ich bin Gast im Hause Kruschkas.«
    »Kruschkas?« sagte Hunli. »Wer ist Kruschka?«
    »Der Mann, dem dieses Haus hier gehört«, sagte Arni. »Und ich bin sein Gast.«
    »Urla hatte recht, daß du nicht zum Anführer taugst«, sagte Hunli verächtlich.
    »Und sie hatte recht, daß du nicht klar und makellos bleiben würdest wie mein Stein«, sagte Arni. »Und um meines Steines willen nehme ich mir das Recht, dich aus diesem Dorf zu weisen. Oder willst du deinen Bruder erschlagen, ehe du diese Mädchen wegschleppst?«
    Hunli blickte ihn eine Zeitlang grimmig an und kaute auf seinem Schnurrbart, den er sich damals gerade wachsen ließ. Dann riß er die Zügel aus Arnis Faust, pfiff seine Leute zusammen und sprengte mit ihnen aus dem Dorf.
    Von diesem Tag an ging Hunli seinem Zwillingsbruder aus dem Weg. Mir ist nie klar geworden, ob er nur wütend auf ihn war oder ob ihm dieser merkwürdige Bruder unheimlich wurde. Es geschieht ja zuweilen, daß man nicht mehr die gewohnte Vertrautheit zu einem Menschen findet, wenn dieser sich durch eine Besonderheit von anderen Leuten abzuheben beginnt und sich über deren Lebensgewohnheiten hinwegsetzt. Auch Kruschka hatte übrigens, als er Arni bei unserem Abschied geradezu überschwenglich für sein Eingreifen dankte, ein gewisses Befremden, ja fast Bestürzung über das Verhalten dieses vornehmen Beutereiters spüren lassen, etwa so, als habe Arni einem Hecht verbieten wollen, künftig die Brut von Karpfen zu jagen.
    Wir beide schlossen uns seither noch enger zusammen; denn als Fremder war ja auch ich ein Außenseiter im Lager. Arni setzte in meiner Begleitung seine ausgedehnten Ritte fort und ruhte zumeist nicht eher, als bis er sagen konnte: »Hier bin ich noch nicht gewesen.« In dieser Zeit haben wir am Rande der Steppe mancherlei seltsame Gegenden und fremdartige Leute gesehen, die jedoch für diese Geschichte ohne Belang sind.
    So ging fast ein Jahr dahin. Ich lernte den grausamen Winter der Steppe kennen, in dem die Schneestürme über die tote, weiße Ebene fegen und die Feuer in den Filzzelten nie verlöschen. Im Frühling ritt ich dann wieder mit Arni hinaus auf den fernen Horizont zu. Im Lager hatte man sich daran gewöhnt, daß wir unserer eigenen Wege gingen. Der Khan mochte

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