Stein und Flöte
sollte. Schließlich kam Arni, der neben seinem Vater gehalten hatte, zu mir herübergetrabt und sagte: »Was soll jetzt geschehen?«
Das verwirrte mich noch mehr. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Das ist eure Angelegenheit.«
»Du hast damit angefangen«, erwiderte er, »und du mußt es nun auch zu Ende führen. Komm, der Khan will mit dir sprechen.«
Ich ritt mit Arni an der Front der Beutereiter entlang und sah in ihren starren Gesichtern nichts als Abweisung, in manchen sogar Angst. Der Khan blickte mir mißmutig entgegen.
»Was hast du dir dabei gedacht?« fragte er. »Weißt du, daß nur meine Gastfreundschaft mich daran hindert, dich von deinem Maultier zu hauen?«
Ich raffte all meinen Mut zusammen und sagte: »Ich kann nicht behaupten, daß mir meine Handlungsweise leid tut, Khan. Ich bin nun einmal so geartet, daß ich keinen Streit ertragen kann.«
»Und was soll jetzt geschehen?« fragte der Khan.
»Du wirst dich mit den Bärenleuten vergleichen müssen«, sagte ich.
»Ja«, sagte der Khan grimmig, »das werde ich wohl müssen. Und du bist der erste, der mich dazu gebracht hat, daß ich etwas tun muß, das ich nicht will.«
Er wendete sich brüsk von mir ab, nestelte eine schwere goldene Schmuckfibel von seinem Wams und hielt sie in der erhobenen Rechten, während er sein Pferd auf die Bärenleute zutrieb. Da löste sich auch aus deren Reihe ein gewaltiger Reiter, dessen grau durchzogener brauner Bart bis auf den Gürtel herabhing, ritt dem Khan entgegen und streifte dabei eine Kette aus goldfarbenem Bernstein über den Kopf. Sie verzogen keine Miene, als sie zwischen den Fronten zusammentrafen und die Geschenke austauschten. Dann wendete der Khan sein Pferd und trabte wieder zu seinen Leuten. »Arni und du, Flöter, ihr kehrt mit uns ins Lager zurück«, sagte er im Vorbeireiten. Dann schrie er einen Befehl und sprengte seiner Horde voran aus dem Tal hinaus.
Sobald wir im Lager eingetroffen waren, befahl der Khan Arni und mich in sein Zelt. Als wir eintraten, sah ich, daß er die große Ratsversammlung einberufen hatte. Er saß auf dem hohen Thronkissen, neben ihm auf einem niedrigeren Polster saß Hunli, und beiderseits hockten auf dem dicken Teppich im Halbkreis die Oberhäupter der einzelnen Sippen.
»Was sagt ihr zu dem, was der Flöter heute getan hat?« begann der Khan die Verhandlung.
»Er hat der Horde Schaden zugefügt«, sagte einer der Ältesten, und die andern nickten zustimmend.
»Hast du gehört?« fragte der Khan. »Sie sagen, du hast der Horde Schaden zugefügt. Ist es so?«
»Ich bin anderer Meinung«, sagte ich. »Es ist nicht so. Ich habe die Horde daran gehindert, anderen Schaden zuzufügen.«
»Haarspalterei«, sagte der Khan mit einer wegwerfenden Handbewegung. Das kommt auf das gleiche hinaus. Weißt du, bei wem du zu Gast bist?«
»Bei den Beutereitern«, sagte ich.
»So ist es«, sagte der Khan. »Und nun sage mir auch, wie wir Beutereiter bleiben sollen, wenn du uns daran hinderst, Beute zu machen. Du wirst unsere Art nicht ändern, so wie du deine Art nicht ändern kannst, die dich zwingt, jeden Streit zu unterbrechen. Oder kannst du versprechen, dies künftig nicht mehr zu tun?«
»Das kann ich nicht«, sagte ich, »denn dann wäre ich nicht mehr der Flöter.«
»Ich habe nichts anderes erwartet«, sagte der Khan. »Du bist mein Gast, Flöter. Aber jetzt fordere ich dich auf, die Horde zu verlassen.«
Arni hatte bisher geschwiegen. Jetzt trat er vor seinen Vater und schrie: »Willst du meinen Freund vors Zelt jagen wie einen Hund?«
»Nicht wie einen Hund«, sagte der Khan. »Ich werde ihm ein Handpferd geben und so viele Vorräte, daß er so weit reiten kann, wie er will.«
»Und so weit wie möglich«, sagte Hunli verächtlich. »Willst du nicht gleich mitreiten, Arni? Oder ziehst du lieber zu deinem Gastfreund, dem Schlammbeißer?«
»Schweig!« fuhr ihn der Khan an. »Du solltest deinen Bruder nicht verachten, weil er anders ist als du. Vergiß nicht, was du Urla geschworen hast! Aber dich, Arni, werde ich nicht hindern, wenn du den Flöter begleiten willst. Ich kenne deinen Weg nicht, du mußt ihn selber finden. Willst du bei dem Flöter bleiben?«
Arni bedachte sich lange. »Nein«, sagte er dann. »Ich gehöre zur Horde, denn ich bin ein Beutereiter, auch wenn ich nach dem Geheimnis meines Steines suchen will. So viel habe ich schon begriffen, daß dies keine Sache ist, die nur mich allein betrifft.« Dann lächelte er unvermittelt und setzte
Weitere Kostenlose Bücher