Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
Vom Netzwerk:
sich wohl sagen, daß die Brüder auf diese Weise nicht aneinandergerieten, und er entsann sich wohl auch der geheimnisvollen Verbindung, die durch den Stein zwischen der weisen Urla und seinem Sohn Arni geknüpft worden war. Daß Leute dieser Art sich abseits halten, entsprach durchaus seiner Erfahrung, und er hoffte vielleicht insgeheim, daß Arni zu einem gesuchten, womöglich sogar zauberkundigen Mann werden und damit den Ruhm seines Stammes mehren würde.
    Da wir uns kaum um die Angelegenheiten der anderen kümmerten, hatten wir keine Ahnung, ob der Khan, wie es im Frühjahr üblich war, einen Beutezug plante oder gar, in welcher Richtung er mit seiner Horde zu reiten gedachte. Wir waren in der Morgendämmerung losgeritten, doch Arni hatte diesmal nicht die Richtung eingeschlagen, in der man auf den Braunen Fluß traf, sondern er hielt sich diesmal weiter nach Norden, denn bei den Karpfenköpfen »war er schon gewesen«.
    Hier wurde das Land hügelig. In den flachen Talmulden hatten die Bärenleute ihre Felder angelegt, und weiter hinten im Tal lugten die stattlichen Holzgiebel ihres Dorfes zwischen blühenden Pflaumenbäumen hervor. Überall sah man auf den noch unbestellten Äckern die Männer mit Pferdegespannen pflügen, hochgewachsene, kräftige Gestalten mit dichten braunen Bärten und behaarten Gliedern. Sie galten als reich, denn der Boden war hier schwarz und fruchtbar, so daß sie von ihren Erträgen nicht nur gut leben konnten, sondern mit dem Überschuß auch noch Handel trieben. Man sagte von ihnen, daß sie ihren Vorteil zu wahren wüßten, und mit Gewalt ließen sich diese bärenstarken Gesellen so leicht nichts wegnehmen.
    Sie beachteten uns nicht weiter, als wir herantrabten; denn zwei einzelne Reiter brauchten sie nicht zu fürchten. Doch dann spürte ich plötzlich ein dumpfes Donnern, das den Boden erzittern ließ, und gleich darauf tauchte über der nächsten Hügelkuppe eine Reiterhorde auf, die in rasendem Galopp auf das Dorf zujagte. Zugleich mit uns hatten auch die ackernden Bärenleute zu dem Hügel hinaufgeblickt, dann gellte ein Schrei, die Männer hieben mit dem Messer das Geschirr von ihren Pferden, saßen auf und hielten auch schon jeder einen gewaltigen Speer in der Faust, der griffbereit am Feldrain im Boden gesteckt hatte. Sie ritten von allen Seiten aufeinander zu und hatten sich, ehe die Horde auch nur die Hälfte des Hügelabhangs hinter sich gebracht hatte, zu einer Schar vereinigt, die den Angreifern entgegensprengte.
    »Der Khan!« rief Arni und spornte sein Pferd so heftig an, daß es sich aufbäumte, ehe es in Galopp fiel. Was immer auch Besonderes an Arni sein mochte, er gehörte zur Horde und mußte mit ihr reiten, wenn die langgezogenen Schreie der Beutereiter zum Angriff trieben. Ich trottete ihm auf meinem Maultier nach und erreichte den Kampfplatz in dem Augenblick, als die Gegner aufeinandertrafen. Die Bärenleute waren an Zahl weit unterlegen, doch es war ihr Glück, daß die Beutereiter kaum Zeit fanden, ihre Pfeile abzuschießen, und mit dem Krummschwert war gegen die langen Speere nicht leicht etwas auszurichten. Ich hatte jedoch keine Lust, erst abzuwarten, wer hier wen totschlagen würde, zumal Arni schon an der Seite des Khans mitten im Getümmel war. Ihr wißt ja, was ich von dergleichen Veranstaltungen halte. Also zog ich meine Flöte aus der Tasche und fing an, den ineinander verkeilten Reitern ein Liedchen aufzuspielen.
    Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit gehabt, meine Kunst an einer ganzen Horde wild aufeinanderlosschlagender Krieger zu erproben, und ich mußte selber staunen, wie schon nach den ersten Tönen die Pferde unvermittelt in Schritt verfielen, dann stehenblieben und auch die Männer voneinander abließen und ihre Waffen senkten. Verdattert saßen sie auf ihren Gäulen und starrten auf ihre Gegner, die nicht mehr kämpfen wollten. Vom Dorf her ritten währenddessen truppweise weitere Männer heran und stießen zu ihren Leuten, bis jedermann sehen konnte, daß für die Angreifer keine Aussicht mehr bestand, diesen speerstarrenden Riegel zu durchbrechen. Da hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, mein Flötenlied zu beenden.
    Als ich aufgehört hatte zu spielen, war es einige Zeit so still, daß man nichts hörte als das Schnaufen der Pferde. Alle Männer blickten zu mir und schienen zu erwarten, daß ich die Sache weiter in die Hand nehmen würde, und ich saß verlegen auf meinem Maultier und wußte nicht, wo ich meine Hände lassen

Weitere Kostenlose Bücher