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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Brunnen in der Steppe kamen oder zu einem einsamen Baum, dessen Schatten zum Rasten einlud, hielt er nur kurz an und sagte: »Hier war ich schon.« Dann spornte er sein Pferd an, als könne das Ziel, das er suchte, nur jenseits der Grenze des Gebietes liegen, das er kannte.
    So kamen wir in die entlegensten Gegenden bis hinunter zum großen Braunen Fluß, der die Steppe von den Gebirgen des Südens trennt. Dort ritten wir eines Abends in ein Dorf der Karpfenköpfe. Man hat ihnen diesen Namen gegeben, weil ihr Gesicht wegen des fliehenden Kinns, der blaßblauen Augen und des über die Mundwinkel hängenden Schnurrbarts, den die Männer tragen, dem Kopf eines Karpfens ähnelt. Sie leben an den Ufern des Braunen Flusses vom Fischfang und sind friedliche, wenig kampferprobte Leute. Das hat ihnen die Verachtung der Beutereiter eingetragen, die sie geringschätzig »Schlammbeißer« nennen.
    Die Karpfenköpfe hatten sich in ihren Hütten versteckt, sobald sie bemerkten, daß ein Beutereiter auf ihr Dorf zutrabte. Sie hatten wohl ihre Gründe dafür, denn von Zeit zu Zeit suchten die Leute des Khans ihre Dörfer heim, um ein paar Mädchen zu rauben und zu Sklavinnen zu machen. Im Lager war ich diesen blaßäugigen, hellhäutigen Frauen hier und da begegnet, wenn sie draußen bei den Herden trockenen Dung einsammelten und als Brennmaterial zu den Zelten trugen. Sie galten auch als kräuterkundig, und es spricht für ihre friedliche Gesinnung, daß sie sich nicht weigerten, die Wunden jener Männer zu heilen, von denen sie in die Sklaverei geschleppt worden waren.
    »Die Schlammbeißer haben sich in ihre Löcher verkrochen«, sagte Arni lachend, als wir durch das Dorf ritten.
    »Sollen wir hier übernachten?« fragte ich; denn inzwischen hing schon die Abenddämmerung über dem Fluß, und im Ried begann der Nebel zu steigen.
    »Bei den Schlammbeißern?« fragte Arni belustigt. »Das kann sich ein Beutereiter nicht einmal vorstellen!«
    »Meinst du«, sagte ich, »es gäbe nichts anderes außer dem, was du dir vorstellen kannst?«
    Arni stutzte und sagte: »Das habe ich schon einmal gehört.«
    »Ja«, sagte ich, »das hast du schon einmal gehört, und du solltest vielleicht darüber nachdenken, wenn du das Geheimnis deines Steins ergründen willst. Urla hat es damals zu deinem Vater gesagt.«
    Arni brachte jäh sein Pferd zum Stehen und sprang ab. »Gut«, sagte er, »übernachten wir bei den Schlammbeißern.«
    »Bei den Karpfenköpfen«, sagte ich. Diese Bezeichnung galt nicht als beleidigend; denn der Karpfen wurde von den Leuten am Fluß als Ahnherr ihres Volkes verehrt, was bei ihrem Aussehen nicht weiter zu verwundern war.
    Wir banden unsere Reittiere an einen Zaun, hinter dem eine niedrige, aus rohen Balken zusammengezimmerte Hütte lag. Mit dem Knauf seines Gürtelmessers klopfte Arni an die Tür. Drinnen war ein erstickter Aufschrei zu hören, dann blieb es wieder still. Arni klopfte ein zweites Mal. Jetzt näherten sich Schritte, ein hölzerner Riegel wurde zurückgeschoben und die Tür nach außen geöffnet. Auf der Schwelle stand ein untersetzter, breitschultriger Mann mit kurzgeschnittenem grauen Haar und dem herabhängenden Schnurrbart der Karpfenköpfe. In seinen wäßrigen Augen stand die nackte Angst. »Herr«, sagte er in der Sprache der Beutereiter, »verschone mein Haus.«
    Arni lachte. »Beruhige dich, Alter«, sagte er, »ich habe es nicht auf deine Töchter abgesehen. Können wir diese Nacht in deinem Hause schlafen?«
    »Herr«, stotterte der Mann bestürzt, »was willst du hier? Mein Haus ist schlecht.«
    »Schlecht oder nicht«, unterbrach ihn Arni. »Willst du uns die Gastfreundschaft verweigern?«
    »Nein, Herr«, sagte der Mann, »wie könnte ich das wagen?« Dann richtete er sich aus seiner demütigen Haltung auf, blickte uns beiden nacheinander ins Gesicht und sagte fast feierlich: »Das Haus Kruschkas steht euch offen. Kommt herein und seid meine Gäste.«
    Was immer die Beutereiter diesem Manne angetan haben mochten, wir waren jetzt, nachdem er diese Worte gesprochen hatte, in seinem Hause sicher wie in unseren eigenen Zelten.
    Während Kruschka uns den Weg ins Haus freigab, rief er einen Jungen herbei und sagte ihm etwas in der weichen, singenden Stimme der Flußleute. Der Junge lief hinaus zu unseren Reittieren, machte sie vom Zaun los und führte sie hinter das Haus zu einem Stall. Als Arni seinem Pferd besorgt nachblickte, sagte unser Gastgeber: »Keine Angst, der Junge versteht sich auf

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