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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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mir glauben. Ein wenig vielleicht auch das meiner Tochter. Sie starb ja erst kurz vor dem Ereignis, das ihr die Große Scheidung nennt, und hat sich wohl ihre eigenen Gedanken über das Leben der Beutereiter gemacht.«
    »Darüber weiß ich nichts«, sagte Lauscher. »Wenn aber deine Vermutung zutrifft, dann hat Narzia jetzt die Rolle ihrer Mutter übernommen; denn ihr Wort gilt viel bei ihrem Vater.«
    »Dann solltest du beizeiten dafür sorgen, daß auch dein Wort bei ihr etwas gilt, wenn du sie zur Frau gewinnen willst«, sagte der Großmagier. »Wie bist du eigentlich zu Arnis Leuten gekommen? So, wie du aussiehst, kannst du kein Mitglied der Horde gewesen sein.«
    »Ich bin der Träger des Steins«, sagte Lauscher nicht ohne Stolz und berichtete in aller Kürze, wie er zu dieser Ehre gekommen war. Der Großmagier hörte ihm gespannt zu und sagte schließlich, als Lauscher zu Ende gesprochen hatte: »Unter diesen Umständen war Höni freilich gezwungen, dich in sein Spiel einzubeziehen. Wer sich auf Arni beruft, kann auf dessen Stein nicht verzichten, auch wenn er dabei einen rechtmäßigen Erben mit in Kauf nehmen muß.«
    Lauscher fand diese Betrachtungsweise etwas befremdlich. »Was meinst du mit ›in Kauf nehmen‹?« sagte er nicht ohne einen Anklang von Empfindlichkeit in der Stimme. »Schließlich hat Höni nichts einzuwenden gehabt gegen meine Werbung um seine Tochter.«
    Dieses Argument brachte den Großmagier zum Lachen. »Eben!« sagte er. »Daran erkenne ich Hönis Denkweise. Entweder kommst du bei einer dieser nicht eben ungefährlichen Abenteuerfahrten um, und er hat dich aus dem Weg. Bestehst du sie aber, dann hast du dich als ein tüchtiger Mann erwiesen, von dem man auch künftig einigen Nutzen für das Gemeinwesen erwarten kann. Erschreckt dich das? Du solltest dich an eine solche Denkweise gewöhnen, wenn du vorhast, eine bedeutende Stellung unter den Leuten einzunehmen.«
    »Willst du damit sagen, daß Narzia ein solches Spiel mitspielen würde?« sagte Lauscher aufgebracht. »Ich will das nicht glauben.«
    »Das ist dein gutes Recht«, sagte der Großmagier, und damit schien diese Angelegenheit für ihn erledigt zu sein. Er griff zu einer silbernen Glocke, die auf dem Tisch stand, und läutete. Der helle, durchdringende Ton war kaum verklungen, als auch schon der tiefe Bronzeton von der Tür her durch den Raum schwang, und gleich darauf trat der Hüter der Falken ein.
    »Ich bitte dich, diesen jungen Flöter als Gast bei dir aufzunehmen«, sagte der Großmagier zu ihm. »Man hat ihn lange genug in meinem Hause von einem zum anderen weitergereicht. Er wird hungrig sein und auch müde, denn er hat einen langen Ritt hinter sich.«
    Lauscher stand auf, verbeugte sich und schickte sich an, dem Rotgewandeten zu folgen, als ihn der Großmagier zurückhielt. »Morgen würde ich gern eine Probe deiner Kunst hören«, sagte er. »Komm am Nachmittag zu mir!« Lauscher nickte, und als er sich schon zum Gehen wandte, sagte der Großmagier noch beiläufig, als handle es sich um irgendeine Nebensächlichkeit: »Das Pferd gehört übrigens dir. Verfüge darüber nach deinem Gutdünken.«
    Sobald die bronzene Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, überfiel Lauscher eine solche Müdigkeit, daß er kaum noch imstande war, dem Hüter der Falken zu folgen, der ihn in seinem gewohnten eiligen Schritt durch ein unübersehbares Gewirr von Gängen und Zimmerfluchten zu jenen Räumen führte, die er bewohnte. Hier nahm sich eine zierliche Frau unbestimmbaren Alters seiner an. Lauscher wußte nicht, ob dies nun die Frau des Gastgebers oder irgendeine Dienerin war, die ihm eine Mahlzeit vorsetzte, von der er schon halb im Schlaf irgend etwas aß, ohne recht zu wissen, was es war. Er spürte noch, daß ihm jemand beim Ausziehen half, und schlief schon, ehe er recht im Bett lag, schlief tief und traumlos die ganze Nacht und noch weit in den nächsten Tag hinein.
    Schließlich weckte ihn die Sonne. Das Fenster des Raums, in dem er aufwachte, öffnete sich nach Süden, und nach dem Stand der Sonne zu schließen, mußte es bald Mittag sein. Lauscher stand auf, wusch sich in einem Wasserbecken, das er neben seinem Bett vorfand, und zog sich an. Dann wußte er nicht recht, was er tun sollte. Es ist immer etwas mißlich, im Haus fremder Leute zu erwachen, deren Gewohnheiten man nicht kennt. Jedenfalls konnte Lauscher sich nicht entsinnen, wohin die einzige Tür dieses Zimmers führte. Während er noch unschlüssig vor dem

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