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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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schauen, ob er nicht doch noch einen Reiher zur Strecke bringen könne. Offenbar wurmte ihn sein Mißerfolg, zumal Lauscher als Neuling seine Beute auf Anhieb gewonnen hatte. Der Großmagier hatte nichts dagegen einzuwenden, und als die beiden hinter den Bäumen an der nächsten Flußbiegung verschwunden waren, sagte er zu Lauscher: »Hast du deine Flöte bei dir?«
    Lauscher zog sein Instrument aus der Tasche und sagte: »Ich würde mich keinen Schritt weit von meiner Flöte entfernen.«
    »So sehr hast du dich also schon daran gewöhnt, die Leute mit ihrer Stimme zu verzaubern«, sagte der Großmagier lächelnd und blickte ihn mit seinen grünen Augen an. »Versuche deine Kunst ruhig noch einmal an mir!«
    Lauscher sah nicht mehr das strenge Gesicht des alten Mannes, sondern nur noch die grünen Augen Narzias und ließ seine Flöte von ihr erzählen, und in diesem Lied träumte er noch einmal den Traum, in dem er seinem Falkenmädchen auf jener Waldlichtung begegnet war. Wieder vollzog sich das Spiel der gegenseitigen Verwandlung, und als Lauscher sich eben von seinen Schwingen empor zu den Wolken tragen lassen wollte, traf seine Augen ein grünblitzender Strahl. Aus seinem Traumlied herausgerissen, starrte Lauscher auf den im Licht der Sonne funkelnden Smaragd an der Hand des Großmagiers, und sogleich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, in dem er durch die Kraft seiner Flöte den Großmagier bewegen könne, ihm den Ring zu überlassen. Er hatte diesen Gedanken noch kaum gedacht, als seine Flöte dieses Thema auch schon aufnahm und den Besitzer des Rings mit schmeichelnden Tönen umwarb, das Kleinod vom Finger zu streifen und dem Flöter zu geben, der auf keine andere Weise sein Falkenmädchen gewinnen könne.
    Als Lauscher seine Flöte absetzte und aufschaute, erkannte er auf den ersten Blick, daß der Großmagier sein Spiel durchschaut hatte. Dieser in allen magischen Künsten erfahrene Mann ließ sich nicht auf unbewußten Wegen zu irgendwelchen Handlungen verleiten. Aber er war offenbar nicht böse darüber, daß Lauscher einen solchen Versuch unternommen hatte, sondern schien eher erheitert zu sein. »Meine Enkelin wünscht sich also diesen Ring«, sagte er lächelnd und ließ den Smaragd in der Sonne aufblitzen. »Das hättest du mir auch ohne Umschweife sagen können. Weißt du überhaupt, was es mit diesem Falkenring auf sich hat?« Und als Lauscher beschämt den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Dann will ich es dir sagen. Ehe du dich endgültig entscheidest, ob du ihr diesen Ring bringen willst, sollst du wissen, welche Kraft in ihm wohnt. Jeder, der ihn am Finger trägt, hat die Macht, Menschen in Tiere zu verwandeln, zeitweise oder auch für immer. Erscheint es dir nicht gefährlich, deiner künftigen Frau solche Macht über dich in die Hand zu geben?«
    Jetzt hätte Lauscher fast darüber gelacht, wie wenig dieser alte Magier von den Wünschen junger Leute wußte; denn zugleich hatte er auch begriffen, was Narzia mit diesem Wunsch nach dem Ring im Sinn gehabt hatte.
    »Darf ich dir eine Frage stellen, die diesen Ring betrifft?« sagte er, und als der Großmagier nickte, fuhr er fort: »Kannst du mir sagen, ob dein Vorgänger diesen Ring irgendwann einmal aus der Hand gegeben hat?«
    Der Großmagier blickte überrascht auf und fragte: »Woher weißt du das denn?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Lauscher. »Ich vermute es nur.«
    »Du hast recht mit deiner Vermutung«, sagte der Großmagier. »Einen Tag lang hat meine Tochter diesen Ring am Finger getragen. Sie hatte den damaligen Großmagier darum gebeten, als sie zum letzten Mal mit Höni auf die Falkenjagd ritt, und mein Vorgänger hatte sie so ins Herz geschlossen, daß er ihr diesen Wunsch nicht abschlagen konnte.«
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte Lauscher befriedigt und sah Narzia vor sich, wie sie ihm von diesem letzten Jagdausflug erzählt hatte. Als Höni seinen Silberreiher geschlagen hatte und wieder als Mensch zu Bewußtsein gekommen war, hatte er sein Falkenmädchen im Arm gehalten und geküßt, und so würde auch Narzia in seinen Armen liegen, wenn er ihr den Ring an den Finger gesteckt hatte. »So habe ich mir das vorgestellt«, wiederholte Lauscher, »und es bestärkt mich nur noch in dem Wunsch, Narzia diesen Ring zu bringen.«
    »Dann sollst du ihn haben«, sagte der Großmagier, zog den Ring vom Finger und legte ihn Lauscher in die Hand. »Aber sage später nicht, ich hätte dich nicht

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