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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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können.« Sie lächelte ihn an und fügte noch hinzu: »Jetzt schlaf dich erst einmal aus!«
    Das war ein vernünftiger Rat, fand Lauscher. Und zugleich auch eine verheißungsvolle Anspielung auf den morgigen Abend, und so war er diesmal nicht enttäuscht darüber, daß sie ihn nun doch allein ließ.
    Der Vormittag des nächsten Tages ertrank in einem Wirbel von Vorbereitungen. Mägde gossen kübelweise Wasser über die Steinfliesen im Hausflur, und man war in keinem Zimmer vor ihren Putzlappen sicher. Aus der Küche drang das Geklirr von Töpfen und Pfannen, es wurde gekocht, gebraten und gebacken, bis das Haus erfüllt war von den Düften nach Süßem und Saurem, nach Fischigem und Fleischigem. Lauscher stand in einem Badezuber voll kochend heißen Wassers und wurde von zwei betagten und dennoch kichernden Mägden von oben bis unten abgeschrubbt, die zum Schluß – Lauscher wußte nicht zu entscheiden, ob zum Scherz oder aus Gewissenhaftigkeit – auch noch den Versuch unternahmen, sein zottiges Fell zu bürsten. Das wurde ihm denn doch zuviel, und er jagte sie hinaus, ehe er sich trockenrieb und das gestickte weiße Hemd anzog, das sie für ihn bereitgelegt hatten. Das Muster, das um den Halsbund und um die Ärmel lief, zeigte abwechselnd Falken und Kraniche, die einander nachjagten. Lauscher fragte sich, ob Narzia das Hemd selbst bestickt hatte. Er konnte sich nicht recht vorstellen, daß sie ruhig am Fenster saß und geduldig die Nadel in Tausenden von Stichen durch den Stoff zog.
    Dann kam auch schon Höni herein und sagte, es sei jetzt an der Zeit, in Arnis Hütte zu gehen. »Nimm deinen Halsbeutel mit«, sagte er noch. »Heute sollst du Arnis Stein auf der Brust tragen.«
    In Arnis Hütte war der gesamte Rat der Ältesten versammelt. Höni forderte Lauscher auf, sein Amt als Träger des Steins auszuüben. Lauscher ging hinüber zu der goldenen Schale und betrachtete seit langer Zeit wieder einmal seinen Stein, der schimmernd in der metallenen Rundung lag. Schließlich nahm er ihn heraus und steckte ihn in den Lederbeutel auf seiner Brust. Dann trat Höni zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Dieser junge Mann namens Lauscher hat drei Proben seiner Tüchtigkeit abgelegt, und ich stelle jetzt an seiner statt die Frage, ob ihr Ältesten diese Proben anerkennen wollt. Zum ersten ist er zu den Bergdachsen geritten und hat unseren Händlern den Weg zu ihnen eröffnet. Inzwischen hat sich erwiesen, daß dieser erste Ritt uns großen Gewinn eingebracht hat. Zum zweiten ist Lauscher in das Lager der Beutereiter geritten, um ihnen die Pferde zurückzuerstatten, die Khan Hunli durch seine Schuld eingebüßt hatte, und er hat den Khan obendrein im Schach geschlagen und dadurch den Ruhm von Arnis Leuten beträchtlich gemehrt. Und zum dritten ist er nach Falkenor geritten und hat einen der Zuchthengste des Großmagiers in unseren Besitz gebracht, obwohl die Falkenleute bisher noch nie einem Fremden ein solches Pferd überlassen haben. Sagt eure Meinung dazu!«
    Die Ältesten steckten die Köpfe zusammen, als wollten sie diesen Fall beraten, aber es war offensichtlich, daß sie dies nur taten, um der Form zu genügen. Es war für sie ja auch nicht gerade neu, was Höni ihnen mitgeteilt hatte. So dauerte es dann auch nicht lange, bis der Älteste der Ältesten aufstand und sagte: »Arni hält offenkundig seine Hand über diesen jungen Mann, den er zum Träger seines Steins bestimmt hat. Wir bestätigen in aller Form, daß Lauscher diese drei Proben bestanden hat.«
    »Wenn das eure Meinung ist, dann habe ich noch eine zweite Angelegenheit an Lauschers Stelle vorzutragen«, sagte Höni. »Dieser Lauscher, der seine drei Proben bestanden hat, wirbt um die Hand meiner Tochter Narzia. Sagt auch dazu eure Meinung!«
    Wieder steckten die Ältesten die Köpfe zusammen, und nach erstaunlich kurzer Zeit erhob sich aufs neue der Älteste der Ältesten und sagte: »Bist du bereit, Höni, diese Werbung gutzuheißen?«
    »Das bin ich«, sagte Höni, »und ich freue mich, einen Mann mit solch nützlichen Gaben in meine Familie aufnehmen zu können.«
    »Und was hält deine Tochter davon?« fragte der Sprecher des Rates.
    »Fragt sie selbst!« sagte Höni, ging zur Tür und öffnete sie. Lauscher sah, daß Narzia draußen schon bereitstand. Sie trug ein weißes Leinenkleid, das mit dem gleichen Muster bestickt war wie sein Hemd. Über ihrer Brust wurde es von der Falkenfibel zusammengehalten, die er ihr von den

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