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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Bergdachsen mitgebracht hatte, und an ihrer Hand funkelte der Ring des Großmagiers. »Komm herein!« sagte Höni zu ihr. »Die Ältesten wollen deine Meinung über diese Werbung hören.«
    Narzia trat über die Schwelle und stellte sich vor die Versammlung des Rats. Nachdem der Älteste der Ältesten seine Frage wiederholt hatte, blickte sie Lauscher an und sagte: »Ich bin bereit, die Frau dieses Mannes zu werden, den man Lauscher, den Träger des Steins nennt.«
    Mich fragt hier wohl keiner, dachte Lauscher, doch dann wurde ihm bewußt, daß Höni die ganze Zeit über an seiner Stelle gesprochen hatte. Irgendwann würde er schon auch noch zu Wort kommen, auch wenn es darüber Abend werden sollte.
    Das wurde es in der Tat. Denn jetzt folgte zunächst der weniger förmliche Teil der Hochzeitsfeier. Sobald Narzia ihr Einverständnis erklärt hatte, lud Höni die Ältesten in sein Haus, und dort wartete in der großen Stube ein Festmahl auf sie, wie es Lauscher in seinem Leben noch nie vorgesetzt worden war. Die Tafeln brachen unter der Last der Speisen fast zusammen; gesottene Fische jeder Größe glotzten ihn aus glasigen Augen an, ein Büschel Kräuter wie eine letzte Mahlzeit im gerundeten Maul; gebratene Tauben und Enten, Fasane und Rebhühner waren zu hohen Türmen aufgestapelt und reckten den Gästen ihre handlichen Beinstümpfe entgegen, und in der Mitte der Tafel bot ein am Spieß gebratener Hammel demütig seinen weit geöffneten, ausgeweideten Leib dar, gefüllt mit einer braunen, fetten Soße, in der Salbei- und Thymianzweige schwammen als Trauergabe der Hinterbliebenen. Seitwärts der Tafel hütete der Speisenaufseher ganze Kolonnen gefüllter Weinkrüge, aus denen er den Gästen ausschenkte, sobald sie Platz genommen hatten, Roten und Weißen und auch den dunkelgelben Schwerwürzigen aus dem Süden, der fast schon wie eine Medizin schmeckt, die man einem Sterbenden zur Besänftigung seiner Schmerzen reicht.
    Lauschers erster Hunger war bald gestillt, und dann saß er, zunächst ungeduldig und später ergeben in den unabänderlichen Ablauf der Dinge, neben Narzia, knabberte an einer Brotkruste oder benagte einen Fasanenrücken und bohrte mit dem Finger jene zwei kleinen, aber ganz besonders zarten Fleischstücke heraus, die dort oberhalb der Beinansätze zu finden sind. Bei Einbruch der Dunkelheit begann Höni, schon leicht schwankend, eine unendlich lange Rede zu halten, deren Wortlaut vom Knacken der Geflügelknochen und Hammelrippen wie auch vom Rülpsen der übersättigten Gäste fast übertönt wurde und nur als fernes Gemurmel an Lauschers Ohr drang; nur aus Hönis Gesten, mit denen er immer wieder auf ihn und Narzia wies, konnte Lauscher entnehmen, daß sein Schwiegervater wohl wieder einmal die Nützlichkeit dieser Verbindung pries. Schließlich ließ Höni sich schwer auf seinen Sessel zurückfallen, und das schien für das Brautpaar das Zeichen zum Aufbruch zu sein. Narzia beugte sich zu Lauscher herüber und sagte leise: »Komm!«
    Fast unbemerkt von den Gästen verließen sie die Stube und gingen nebeneinander die Treppe hinauf zu Narzias Schlafkammer. »Warte hier!« sagte Narzia leise und huschte durch die Tür, ohne sie hinter sich völlig zu schließen. Lauscher stand draußen auf dem Gang und sah durch den Türspalt Kerzenlicht auf der Wand flackern, Leinenzeug raschelte, das sanfte Streichen einer Haarbürste erregte seine Sinne, und das leise Ächzen des Bettgestelles ließ sein Herz für einen Schlag aussetzen. Er stieß die Tür auf und sah im engbegrenzten Schein der Kerze Narzia ausgestreckt wie eine aufgebahrte Leiche auf der niedrigen Bettstatt liegen, angetan mit einem hauchdünnen Gewand, das ihren Körper kaum verhüllte. Für einen Moment sah er sich wieder in Gisas Zimmer stehen und hörte ihre spöttische Stimme, mit der sie ihm befahl, seine Kleider abzulegen. Dergleichen wollte er sich nicht noch einmal sagen lassen. Rasch streifte er seine Sachen ab, und dabei entdeckte er, daß er noch immer den Beutel mit Arnis Stein auf der Brust trug. Hätte er ihn wieder auf die goldene Schale zurücklegen sollen? In der Eile, zur Festtafel zu kommen, hatte keiner daran gedacht, ihn dazu aufzufordern. Aber vielleicht war auch beschlossen worden, daß er ihn in dieser Nacht tragen sollte. Jedenfalls gedachte er, diesmal sein kostbares Erbe nicht abzulegen.
    Er sah nur noch Narzias grüne Augen, als er auf das Lager zuschritt, doch sobald er in den Lichtschein der Kerze trat, weiteten

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