Stein und Flöte
das Wasser sich wieder geglättet hatte und das Gesicht von neuem Gestalt gewann. Als es schließlich wieder ruhig aus der Tiefe zu ihm heraufblickte, lächelte die Frau und sagte: »Du bist immer noch zu ungeduldig. Hast du inzwischen nicht begriffen, daß man nie das bekommt, was man sich nimmt, sondern nur das, was einem geschenkt wird? Alles kommt zu dem, der warten kann.«
»Wer soll noch zu mir kommen, mißgestaltet wie ich bin?« sagte er. »Künftig werden alle vor mir davonlaufen.«
»Solange du wie ein wütendes Ungeheuer durch die Büsche trampelst, wird das allerdings so bleiben«, sagte die Frau. »Du kannst dich selber nicht leiden. Wie soll dich dann ein andrer mögen?«
»Ich hasse diesen stinkenden Bock, in dessen Gestalt ich jetzt leben muß«, sagte er, und es machte ihn noch zorniger, daß die Frau, als sie diese Worte hörte, zu lachen anfing, wenn auch dieses gurrende, tieftönende Lachen nicht nach Spott klang, sondern so, als bereite es ihr Lust, diesen bocksgestaltigen Unhold, der er war, zu betrachten.
»Erschreckt es dich«, sagte sie, »wenn du dich so siehst, wie du bist? Du wirst nie leben lernen, wenn du den Teil deines Leibes verachtest, der jetzt an dir so böckisch zu Tage getreten ist.«
»Leben?« sagte er erbittert. »Was soll das für ein Leben sein, das ich in dieser Gestalt führen muß?«
Da lachte die Frau wieder und sagte: »Was weißt du schon vom Leben? Das ist noch lange nicht alles, was du bisher erfahren hast.«
Ihm schien es schon übergenug, was ihm widerfahren war, und er verspürte nicht die geringste Lust, noch mehr an dergleichen Erfahrungen zu sammeln, doch ehe er ihr das sagen konnte, zersprang das Bild des Frauengesichts in tausend Scherben, und er wurde hochgeschreckt von heftigem Geflatter, das seine Haut streifte. Er spürte, wie ein harter Schnabel auf seine Finger hackte, und als es ihm endlich gelungen war, sich von dem Traumbild zu lösen, sah er über der Lichtung eine Elster abstreichen, die etwas Blitzendes im Schnabel hielt. Ein Blick auf seine leeren Hände genügte, um ihm zu verraten, daß sie ihm das letzte gestohlen hatte, das er noch besaß.
Er sprang auf, um ihr nachzulaufen, doch sobald er einen Schritt aus dem schützenden Dach der Bäume herausgetreten war, überfiel ihn jäh eine unnennbare Angst vor der freien Fläche und zwang ihn zurück zwischen die Stämme. Er konnte das nicht begreifen und versuchte es noch einmal, aber es war, als laufe er gegen eine gläserne Mauer; die Angst raubte ihm fast die Besinnung, sowie er den freien Himmel über sich wußte, und verließ ihn erst wieder, als er in den Schatten des Waldes zurückgeflüchtet war.
Die Elster hatte inzwischen die Lichtung überquert, und er sah sie in wippendem Flug zwischen den Ästen einer Eiche untertauchen. Dort mußte sie ihr Nest haben, in dem sie ihr Diebesgut hortete. Hastig brach er am Waldrand entlang durchs Gebüsch und ließ dabei den Nistbaum nicht aus den Augen, gleichviel, ob Brombeerranken über sein Fell fetzten oder Zweige sein Gesicht peitschten. Er hätte zu dieser Zeit nicht sagen können, was dieser Stein ihm bedeutete, sondern wußte nur, daß er ihn um jeden Preis zurückgewinnen mußte.
Als er schließlich schwer atmend unter dem Baum stand und am Stamm emporblickte, um herauszufinden, wie man ihn am besten erklettern könne, merkte er, daß er es nicht nur mit einem Räuber zu tun hatte, denn er hörte die krächzenden Stimmen zweier Vögel. Ein Komplize hatte oben im Nest gewartet. Und in diesem Augenblick wurde ihm bewußt, daß er verstehen konnte, was die beiden Vögel miteinander sprachen.
»Der Falke sagte die Wahrheit«, krächzte die erste Elster. »Der Bocksfüßige hatte ein schönes Glitzerding in den Händen.«
»Dürfen wir es behalten?« fragte die andere.
»Nein«, sagte die erste. »Der Falke wird es sich holen.«
»Wann?« fragte die andere.
»Heute abend«, sagte die erste.
»Wir könnten es verstecken«, sagte die andere. »Es ist ein sehr schönes Glitzerding, zu schade für einen Falken.«
»Zu gefährlich«, sagte die erste. »Willst du etwa einen Falken zum Feind haben?«
»Lieber nicht«, sagte die andere. »Hat der Bocksfüßige etwas gemerkt?«
»Ja«, sagte die erste. »Aber er ist ein Waldwesen und konnte mir nicht über die Lichtung folgen. Inzwischen wird er wohl unter unserem Baum angekommen sein.«
Da lachte die andere heiser auf und sagte: »Dort kann er lange stehenbleiben. Mit seinen klobigen
Weitere Kostenlose Bücher