Stein und Flöte
war, ihn wie ein Peitschenhieb getroffen, verwandelt und aus dem Haus getrieben hatte, vorüber an einem Mann, der sich würgend erbrach und ihn für ein Tier hielt, für einen Bock, den es zu seiner Liebsten trieb. Von der kam ich doch gerade, dachte der Bocksfüßige, aber er hatte keine Vorstellung mehr davon, wie sie ausgesehen hatte. Nichts als dieser grüne, schmerzende Blitz war ihm geblieben, den Rest hatte er verloren, und er suchte auch nicht danach, während er über die Dorfstraße sprang, hindurch zwischen den schwarz in der Dunkelheit hockenden Häusern, in denen die Leute, die sich seiner bedient hatten, wie ein unaustilgbares Ungeziefer ihre heimlichen Gänge fraßen, und er war weitergetrabt, bis die Luft frei war vom schweißigen Dunst ihrer geschäftigen Nähe und der brandige Gestank ihrer Herdfeuer vom heilsam bitteren Geruch des Herbstlaubs übertönt wurde. Er verfolgte kein Ziel; entscheidend war nur die wachsende Entfernung, die ihn von jener Stelle trennte, an der diese Leute sich eingenistet hatten. Der Wille, Macht über sie auszuüben, war ihm ebenso abhanden gekommen wie das silberne Instrument, das er zu diesem Zweck benützt hatte, und er hätte es wohl von sich geworfen, wenn es sich jetzt noch in seiner Hand befunden hätte. Doch die Flöte lag in der Stube, in der zu wohnen er sich kaum noch vorstellen konnte, und dort wird sie nun auch ziemlich lange liegen bleiben, bis sie vielleicht einmal irgend jemand entdeckt und an sich nimmt.
So zog er immer weiter durch die Wälder nach Norden, wo es keine Menschen gab, die ihn wegen seiner zwitterhaften Gestalt hätten verspotten können. Anfangs hatte er immer wieder mit einer gewissen Lust am Entsetzen die Ergebnisse der Verwandlung betrachtet, die von den Hüften abwärts mit ihm vorgegangen war, angewidert von dem tierischen Gezottel an seinem Leib und der böckischen Mißgestalt der Beine; später hatte er sich gezwungen, diesen Teil seines Körpers nicht mehr zu beachten. Was auch immer mit ihm geschehen war: Er lebte und ließ sich treiben in dem endlosen Meer der Wälder. Das waren Tage voller gilbenden Herbstlaubs, durch das Regenstürme rauschten und prasselnd Eicheln und Bucheckern von den Zweigen warfen; über dem Boden hing der Duft von Pilzen, die überall zwischen den Wurzeln der Buchen und Eichen aus dem feuchten Erdreich brachen oder in verschlungenen Hexenringen zwischen welkendem Gras auf den Waldwiesen standen. Von Pilzen lebte er hauptsächlich in diesem Herbst, von den herben Kernen der Bucheckern und von den letzten Brombeeren, die in schwarztropfenden Trauben zwischen violetten und roten Blättern an den dornigen Ranken hingen.
Tieren begegnete er in dieser Zeit kaum. Er machte wohl zu viel Lärm, wenn er auf seinen noch unvertrauten Hufen durchs Unterholz brach und bei jedem Schritt auf dürre Äste trat oder mit den ungelenken Beinen durch das abgefallene Laub schlurfte. Nur den Häher hatte er hie und da kreischen gehört, der mit seinem ›Gebt acht! Gebt acht!‹ die anderen Tiere davor warnte, daß hier ein zottiger Unhold gestapft kam.
Damals war ihm noch nicht bewußt geworden, daß er diesen Warnruf verstanden hatte. Jedermann weiß ja, was der Schrei des Hähers bedeutet. Aber ein paar Tage später, an einem klaren Mittag, an dem der Himmel blaßgrün über dem schwarzen Geäst der Bäume ausgespannt war, holte ihn dieses Bewußtsein ein. Während er am Rand einer Lichtung auf einem Wurzelstock hockte und sich sein Fell von der niedrig über den Baumkronen stehenden Sonne wärmen ließ, hatte er seinen Augenstein aus dem Beutel genommen und sich im Spiel der Farbkreise verloren, die sich blau, grün und violett aus der Mitte des glatten Kiesels ausbreiteten, die Oberfläche durchbrachen und ihn umspülten wie die aus unergründlicher Tiefe emporquellenden Wasser eines ständig sich weitenden Teiches, dessen Fläche bewegt wurde von stetig wachsenden, einander überschneidenden Ringen, zwischen denen sich nach und nach ein Bild aus unzähligen Facetten zusammensetzte, das er zunächst für eine Widerspiegelung des eigenen Gesichts hielt, bis es langsam erkennbare Form annahm und sich zusammenfügte zu dem Gesicht einer Frau, die ihn anblickte, ein vom Wasser umspültes Gesicht, das in ihm die Erinnerung an einen Traum weckte. Er beugte sich nieder, um dieses Traumbild zu fassen, doch sobald seine Hand in den Teich tauchte, zerfloß das Bild zu farbensprühendem Geflimmer, und er mußte lange warten, bis
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