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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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im Schatten einer Eiche zwei Hirten, die dort ihr Frühstück aßen, Brot und Käse, und sich dabei unterhielten. Soweit er zurückdenken konnte, hatte er keinen Menschen reden hören, und sein erster Gedanke war, fortzulaufen und sich im dichten Wald zu verstecken, denn ihre Stimmen erschreckten ihn. Sie klangen schärfer und lauter als jene der Tiere, und in ihrem Tonfall lauerten Rechthaberei und Streitsucht, obwohl die beiden Hirten ganz friedlich miteinander zu reden schienen.
    Er wollte sich schon davonschleichen, als er zwei Wörter hörte, die vertraut klangen. Einer der Männer hatte etwas von »Arnis Leuten« gesagt. Steinauge wußte nicht, was diese Wörter bedeuten sollten, aber es schien ihm, als habe er sie schon einmal gehört. »Arnis Leute«, sagte er leise. »Arnis Leute –«, und während er dem Klang dieser Silben nachlauschte, wurde er immer sicherer, daß er irgendwann einmal mit diesen Leuten zu tun gehabt haben mußte. Er versuchte, sich zu erinnern, geriet dabei aber, wie schon früher, bald an eine Grenze, über die er nicht hinauskam. Sobald er versuchte, sie zu überschreiten, verfilzten sich seine Gedanken zu undurchdringlichem Gestrüpp, das keinen Blick auf frühere Ereignisse erlaubte, die, dessen war er sicher, jenseits dieser Schwelle liegen mußten.
    Die Hirten jedoch sprachen von solchen Dingen, die auch er selbst vielleicht einmal gewußt hatte, und diese Vorstellung trieb ihn dazu, sich vorsichtig an ihren Platz heranzupirschen und sie zu belauschen. Inzwischen war er darin geübt, sich geräuschlos im Wald zu bewegen, und so gelang es ihm, bis zu einem dichten Weißdornbusch am Waldrand vorzudringen, von dem aus er die beiden Hirten beobachten konnte, ohne entdeckt zu werden. Das war nicht besonders schwierig, da die Männer mit dem Rücken zum Wald saßen und hinaus auf die Wiese zu ihren Pferden schauten. Steinauge machte es sich hinter dem Gebüsch bequem und versuchte dem Gespräch zu folgen. Der eine Hirte hatte einen derart dichten, krausen Bart, daß man außer seiner knolligen Nase wenig von seinem Gesicht sehen konnte. Der andere war noch jung und bartlos und sprach mit einer hohen, durchdringenden Stimme. Er war es auch, der Arnis Leute erwähnt hatte, und jetzt sagte er: »Als wir die Stuten in das Dorf von Arnis Leuten getrieben hatten, fragten wir nach Höni, den sie Arnis Stellvertreter nennen; denn ihm sollten wir die Pferde übergeben.«
    »Hast du den schwarzen Hengst gesehen, der sie decken soll?« fragte der Bärtige.
    »Ja, aber erst später«, sagte der Junge. »Höni bekamen wir jedoch nicht zu Gesicht. Es hieß, er sei schwer erkrankt und habe seiner Tochter alle Geschäfte übergeben. Das sagte uns jedenfalls ein Mann, den wir auf der Dorfstraße fragten, aber aus der Art, wie er davon sprach, möchte ich fast schließen, daß Narzia ihren Vater nicht erst lange gefragt hat, als sie die Macht übernahm.«
    »Weiberherrschaft!« brummte der Alte. »Weit ist es gekommen mit diesen Abkömmlingen der Beutereiter! Diese Leuten waren mir schon immer zuwider mit ihrem kriecherischen Getue.«
    Der Junge zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls haben sie es verstanden, in aller Höflichkeit ihren Vorteil wahrzunehmen«, sagte er. »Und diese Tochter Hönis war alles andere als kriecherisch. Als sie sich schließlich bequemte, aus dem Haus zu kommen und die Stuten zu besichtigen, stellte sie ihre Fragen sehr genau, und wenn sie einen mit ihren grünen Augen ansah, fühlte man sich wie ein Spatz in ihrer Hand und bekam es mit der Angst, sie könne einen samt den Stuten gleich dortbehalten, und dazu hatten wir allesamt wenig Lust, nachdem wir gesehen hatten, wie sie ihre Knechte behandeln.«
    »Was für Knechte?« fragte der Bärtige. »Bisher hatte ich geglaubt, daß bei Arnis Leuten keine Sklaven mehr gehalten würden, seit sie ihre Zöpfe abgeschnitten haben.«
    »Das hatten auch wir gedacht«, sagte der Junge. »Und genau besehen gibt’s dort auch keine Sklaven. Es ist nur so, daß sie den Leuten in den Ansiedlungen ringsum ihre Waren gegen Schuldverschreibungen aufdrängen, und wenn sie später nicht zahlen können, müssen sie ihnen umsonst als Knechte dienen. Natürlich gibt es keine Sklaven, das hat Arni ja verboten, aber schließlich kommt es doch aufs Gleiche hinaus. Wir waren jedenfalls froh, daß Narzia mit den Stuten zufrieden war, das kann ich dir sagen!«
    »Ein widerwärtiges Volk!« sagte der Bärtige. »Wir hätten uns mit diesen verschlagenen

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