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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Falken in Wut. »Diesen Beinamen hat dir das Wiesel verraten!« kreischte er voller Zorn. »Aber deinen wirklichen Namen kennst du nicht, du zottiger Bock! Nichts weißt du mehr davon, welche Macht über die Menschen du mit deinem Silberrohr ausüben konntest. In seidenen Betten könntest du schlafen statt bei deinen stinkenden Ziegen!«
    Steinauge blickte noch immer auf den Stein, und dessen Farbenringe breiteten sich um ihn aus wie eine schützende Hülle, an der die Wut des Falken abprallte. Je mehr ihn die pulsierende Wärme des Steins durchdrang, desto weniger schien es ihm erstrebenswert zu sein, zu hören, was dieser böse Vogel ihm zu erzählen hatte; zudem war es sehr zweifelhaft, daß er die Wahrheit sagen würde.
    »Gib dir keine Mühe, Falke«, sagte er. »Einstweilen will ich damit zufrieden sein, der Träger des Steins zu heißen oder Steinauge, wie mich meine Ziegen nennen. Den Stein bei mir zu tragen, erscheint mir wichtiger, als Macht über irgendwelche Leute auszuüben; denn so, wie du das sagst, klingt es böse in meinen Ohren, und mir kommt so eine Ahnung, daß mich dieses Macht-Ausüben hierhergebracht hat, wo ich jetzt bin.«
    »Sagt dir das dein Stein?« fragte der Falke.
    »Siehst du!« sagte Steinauge und blickte den Falken an. »Jetzt hast du selber zugegeben, daß es mein Stein ist!«
    »Dein oder nicht«, sagte der Falke aufgebracht. »Hast du noch nicht gemerkt, daß man diesen Stein nicht besitzen kann wie irgendeinen beliebigen Gegenstand? Er war dir nur anvertraut, damit du ihn für uns bewahrst. Deshalb habe ich ein Recht, ihn von dir zu fordern.«
    Steinauge schaute in die grünen Augen des Falken und begann unsicher zu werden, doch sobald er den Blick wieder senkte und sich einbezogen fühlte in das schimmernde Farbenspiel, verflogen seine Zweifel. »Damit magst du schon recht haben, daß mir der Stein nur anvertraut wurde«, sagte er, »aber ich bin sicher, daß er nicht für deinesgleichen bestimmt ist; denn er ist ein Geschenk und keine Ware, die man nach Belieben einfordern kann. Von mir bekommst du ihn nicht!«
    »Dann bleibe ein halber Bock, der einsam durch die Wälder trottet!« schrie der Falke. »Unter den Ziegen sollst du ein Fremder bleiben, und auch den Menschen soll vor dir grausen, es sei denn, es findet sich ein Mädchen, das dich lieben kann, häßlich wie du bist mit deinem zotteligen Bocksgestell!«
    Der Falke lachte gellend auf, breitete seine Flügel aus und schwang sich hoch in den Himmel, wo er rasch nach Süden davonzog.
    Steinauge blickte ihm nach und bewunderte die Leichtigkeit, mit der dieser schlanke Vogel sich in die Höhe schraubte und vom Wind tragen ließ, frei und scheinbar nicht an die Schwere gebunden, die andere Wesen dazu zwingt, unten auf dem Boden mühsam Bein vor Bein zu setzen und darauf zu achten, nicht ins erstbeste Loch zu stolpern. Du bist schön, Falke, dachte er, du bist sogar sehr schön, auch wenn du böse bist. Im übrigen nahm er sich vor, künftig sorgfältig auf seinen Stein zu achten.
    Am nächsten Tag regnete es. Steinauge blieb in der Höhle und schaute durch den Einschlupf hinaus auf das entlaubte Gebüsch, dessen hochgereckte Zweige schwarz vor Nässe glänzten, und dahinter sah man nichts als streifiges Grau. Doch selbst bei diesem Wetter waren die Ziegen offenbar noch nicht bereit, die Höhle aufzusuchen. Vor dem ersten Schnee würden sie wohl nicht kommen.
    Steinauge blieb an seinem Feuer hocken und versuchte wieder einmal, mit seinem Stock ins Gespräch zu kommen. Er blickte forschend in das zeitlos-uralte Gesicht des hölzernen Wesens und sagte: »Ich muß mir wohl andre Namen für dich ausdenken, wenn ich dich zum Reden bringen will. Vielleicht waren die Namen zu kurz, die ich mir neulich ausgedacht hatte.« Er versuchte sich den riesigen Baum vorzustellen mit den blaugrünen Zapfen hoch oben, im Wipfel, die dick und rund waren wie Bauernkrapfen und sagte: »Wipfelkrapfenzapfel?« Doch das braunglänzende Auge blickte jetzt eher noch abweisender als zuvor. Er grübelte weiter nach und erinnerte sich, wie es sich angefühlt hatte, als ihm die tiefhängenden Zweige der Zirbe die Beine zerkratzt hatten, während er vor dem Gewitter geflüchtet war, und er sagte: »Nadelwadenwedel«, doch auch damit hatte er keinen Erfolg. Aber da er einmal bei diesem Gedanken war, fiel ihm ein, daß er beim Laufen beinahe über die knorrigen Wurzeln der Zirbe gestolpert war, und so sagte er gleich noch: »Wurzelwarzenpurzel«, doch nun

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