Stein und Flöte
sein?« fragte Lauscher trotzig.
Nachdenklich betrachtete der Sanfte Flöter seinen Enkel. »Wenn du so denkst«, sagte er dann, »wird es wohl ziemlich lange dauern. Du wirst Barlos Diener bleiben, bis er dich eines Tages nicht mehr braucht und aus freiem Entschluß entläßt.«
Als er das hörte, ließ Lauscher den Kopf hängen. Das waren ja trübe Aussichten, wenn ausgerechnet jener Mann über seine Freiheit bestimmte, der allen Grund hatte, sich an ihm zu rächen. Er schaute hinüber zu Barlo, doch der lehnte gleichmütig am Zaun, blickte mit ernstem Gesicht vor sich hin und ließ auf keine Weise erkennen, wie er sich zu diesem Diener stellen würde.
»Dieser Vorschlag scheint dir nicht sonderlich zu gefallen, Lauscher«, fuhr der Sanfte Flöter fort. »Ich kann dich natürlich nicht dazu zwingen – du mußt schon selber entscheiden, was du tun willst. Du kannst auch wieder nach Hause gehen, obwohl ich dir das nicht unbedingt raten würde. Dein Vater hat wohl inzwischen von deiner merkwürdigen Gerichtsbarkeit in Barleboog gehört, und ich fürchte, das wird seine gewaltige Stimme nicht eben leiser gemacht haben. Denn er ist ein gerechter Mann, wenn auch ein bißchen zu laut für meinen Geschmack.«
Lauscher konnte sich vorstellen, wie ihn der Große Brüller empfangen würde. Du lieber Himmel, er würde seinem Namen alle Ehre machen, das war sicher. Er setzte sich ins Gras, lehnte sich mit dem Rücken an einen Zaunpfosten und dachte nach. Dabei spürte er auf der Brust den Beutel mit seinem Stein. Er nahm ihn heraus und ließ seine Farben in der Sonne spielen. Lange schaute er auf den Augenkranz unter der kühlen, glatten Oberfläche. Wie immer, wenn er ihn betrachtete, freute er sich an der Schönheit der flimmernden Farben, und er spürte, wie seine Angst vor dem Kommenden verging. Aber wie er sich entscheiden sollte, wußte er noch immer nicht.
»Diese Entscheidung nimmt dir keiner ab«, sagte der Großvater lächelnd. »Nicht einmal dein Stein.«
»Das wohl nicht«, sagte Lauscher. »Aber solange ich den bei mir trage, werde ich’s schon bei Barlo aushalten.«
»Dann ist ja alles geregelt«, sagte der Sanfte Flöter erleichtert. »Morgen früh werdet ihr reiten.«
»Zusammen auf einem Pferd?« fragte Lauscher. »Oder kannst du ein zweites mit deiner Flöte herbeilocken wie deine Amsel?«
»Das nicht«, sagte sein Großvater. »Aber ein Reittier läßt sich schon beschaffen, wenn’s auch kein Pferd sein wird.«
»Für Barlo?« fragte Lauscher hoffnungsvoll.
»Nein, für dich«, sagte der Großvater unerbittlich. »Das Pferd mußt du schon Barlo überlassen, denn es steht ihm zu, zumal er dein Herr sein wird. Kommt, wir machen uns gleich auf den Weg.«
Während sie den Garten durch das Zaungatter verließen, trat die Großmutter in die Tür und rief: »Wo geht ihr hin? In zwei Stunden habe ich das Mittagessen fertig!«
»Keine Angst«, erwiderte der Großvater, »wir sind pünktlich zurück. Nur ein kurzer Besuch beim Eselwirt.«
»Tagediebe, einer wie der andere«, schimpfte ihnen die Großmutter nach. »Ohne Frühschoppen schmeckt euch wohl mein Essen nicht? Wenn ihr nicht beizeiten an meinem Tisch sitzt, schicke ich euch die Amsel auf den Hals!«
Was sie dann noch weiter sagte, konnten die drei nicht mehr verstehen, denn das Haus war schon hinter der ersten Wegbiegung verschwunden. Der Großvater kam trotz seiner zierlichen Gestalt rasch voran mit seinen behenden Füßchen, doch wo er zwei seiner tänzelnden Schritte machte, brauchte der lange Barlo nur einen zu tun. Lauscher trottete neben ihnen her und dachte darüber nach, was dies wohl für ein Eselwirt sein mochte, zu dem sie unterwegs waren. Ein Gasthaus zum Esel? Oder hielt dieser Mann gar Esel zum Verkauf feil? Er sah sich schon mit nachschleifenden Füßen auf einem winzigen Grautier hinter dem hochbeinigen Gaul Barlos einhertraben und bereute fast wieder seinen Entschluß. Inzwischen hatten sie zwei weitere Biegungen hinter sich gebracht, in denen sich der Weg zwischen den Wiesenhängen der Hügel hindurchschlängelte. Jetzt weitete sich das kleine Tal, der Bach floß hinaus in eine Niederung und mündete weiter unten, gesäumt von Erlengehölz, in einen Fluß. Auf halbem Wege war ein beträchtlicher Teil des Geländes durch ein niedriges Gatter aus Schwartenbrettern eingezäunt, und mitten drin lag ein größeres Anwesen, offenbar eine Art Gasthaus mit breiter Toreinfahrt und einem Stall hinter dem Hauptgebäude. Beim
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