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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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bocksfüßigen Fremdling hinweg, als wollten sie ihn daran hindern, ihnen den erhofften Fraß zu verderben. Steinauge schlug beide Arme über den Kopf und rannte blindlings zwischen den Birken weiter. Dann hörte er einen Schrei, blickte auf und sah dicht vor sich ein Mädchen stehen, das einen Eimer trug. Es war irgendeine junge Magd von Arnis Leuten, flachnasig und mit schwarzem, strähnigem Haar, die am Morgen zum Wasserholen hinausgegangen war. Die dunklen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, starrte sie ihn an. Ihr Mund war noch immer geöffnet, als solle ihr Schrei lautlos ohne Ende weitergellen, aber es war jetzt nur noch das wütende Krächzen der Krähen zu hören, die nun auch auf den Kopf des Mädchens herabstießen. So stand sie einige Augenblicke wie erstarrt. Dann warf sie Steinauge den Eimer vor die Füße, stieß die Hand vor mit der Geste, die böse Geister abwehren soll, warf sich herum und rannte mit platschenden bloßen Füßen über den taufeuchten Weg davon.
    »Bleib stehen!« rief Steinauge ihr nach. »Warte! Ich tu dir nichts! Ich muß dir etwas sagen! Die Beutereiter …«, aber da war das Mädchen schon in einer der Hütten verschwunden. Da gab Steinauge die Hoffnung auf, daß es ihm gelingen würde, Arnis Leute zu warnen. Wenn die Beutereiter bisher nicht gekommen waren, dachte er, würden sie wohl auch heute noch ausbleiben, und er beschloß, seinen ursprünglichen Plan auszuführen. Wenn er die Nacht abwartete, würde es ihm schon irgendwie gelingen, in Narzias Hütte einzusteigen und seine Flöte zu holen. Dann sollten Hunlis Reiter nur kommen! Sie würden sich wundern über den Empfang, der ihnen bereitet wurde!
    Steinauge war jetzt geradezu begierig darauf, die Rolle zu spielen, die hier offenbar für ihn vorgesehen war, und während er langsam bergauf in den Wald zurücktrottete, malte er sich aus, welchen Eindruck es auf jedermann machen würde, wenn er die Angreifer in die Steppe zurückscheuchte. Er sah das Bild schon vor Augen, wie die kleinen, struppigen Pferde sich aufbäumten und in die endlose graue Ebene zurückjagten, verfolgt vom Triumphgeschrei der Dorfbewohner. Arnis Leute würden sich schon erkenntlich zeigen für seine Hilfe. Wenn du erst einmal die Macht hast, dann wird sich keiner über die Form deiner Beine zu wundern wagen – wer hatte das gleich gesagt? Es wollte ihm nicht einfallen, und schließlich meinte er, daß er sich das wohl selber gedacht haben müsse.
    So entfernte er sich eine beträchtliche Strecke Wegs vom Dorf, damit ihm nicht noch einmal einer von Arnis Leuten in die Arme lief und dadurch alles verdarb. Irgendwo weiter oben am Berghang hockte er sich am Rand einer Lichtung unter einen Baum, wärmte seinen Pelz in der Frühjahrssonne, knackte ein paar Haselnüsse und ruhte sich von den Strapazen der tagelangen Rennerei durch die Wälder aus. Während er mit geschlossenen Augen an dem Stamm lehnte, hörte er über sich in den Zweigen die Vögel singen, Meisen piepten, Buchfinken schmetterten ihr Brautlied, ab und zu flötete ein Rotkehlchen. Dann strich keckernd ein Eichelhäher über die Lichtung und rief: »Habt acht! Habt acht! Die Beutereiter sind auf dem Weg!«
    »Laß sie nur kommen!« rief Steinauge zu ihm hinauf. »Du wirst deinen Augen nicht trauen, wenn du siehst, wie schnell sie auf und davon sein werden!« Dann schlief er ein.
    Als er aufwachte, stand die Sonne schon tief im Westen zwischen den Stämmen. Brandgeruch lag in der Luft. Weiter unten im Süden stieg schwarzer Qualm zum Himmel. Steinauge wußte sofort, was geschehen war, und doch rannte er wie gehetzt zurück zum Dorf, als könne er das Unheil noch aufhalten. Als er schließlich in dem Birkenwäldchen stand, von dem aus man das Dorf sehen konnte, zeigte sich, daß er den Überfall der Beutereiter verschlafen hatte. Alle Blockhäuser standen in hellen Flammen, dicker, schwerer Rauch quoll in trägen Wolken über dem Gebüsch auf und trieb langsam im Südwind in die Höhe, daß sich der Himmel verdunkelte, als solle gleich ein Gewitter losbrechen. Doch das Unheil hatte längst seinen Höhepunkt überschritten. Nur noch vereinzelt gellten langgezogene Todesschreie herüber und dazwischen die schrillen Beuterufe der Reiter. Keine Krähe war mehr zu sehen. Das große Fressen hatte begonnen.
    Steinauge lag zitternd am Boden in dem schütteren Unterholz zwischen den Birkenstämmen und wagte nicht sich zu bewegen. Der Gestank des Rauches legte sich ihm auf die Brust, und er hustete

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