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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Steinauge, aber da der Hund sich friedlich benahm, strich er ihm über das Rückenfell und sagte: »Du hast dich wohl beizeiten verdrückt?«
    »Ja«, sagte der Hund. »Gestern war ich es zum ersten Mal zufrieden, ein Hund zu sein, auf den keiner achtet. Sind noch Reiter im Dorf?«
    »Nur noch Tote«, sagte Steinauge und spürte, wie wieder das Entsetzen in ihm hochstieg. Der Hund schien jedoch nichts anderes erwartet zu haben. Er wendete den Kopf und rief: »Ihr könnt herauskommen! Sie sind weitergeritten.«
    Nun kamen noch weitere sechs Hunde aus den Erlensträuchern, alle ebenso groß und stark wie der erste, und legten sich rings um Steinauge auf den Boden.
    »Was hast du in diesem Haus gesucht?« fragte der erste Hund. »Bist du auch so ein Beutemacher und Plünderer?«
    Steinauge schüttelte den Kopf. »Ich habe nur gesucht, was mir gehört«, sagte er. »Eine Flöte und einen Stein.«
    Daraufhin blickte ihm der Hund aufmerksam ins Gesicht und sagte: »Ach, du bist das also, Flöter. Ich hätte dich nicht wiedererkannt, zottig und bärtig wie du aussiehst. Hast du gefunden, was du gesucht hast?«
    »Nein«, sagte Steinauge. »Nur das hier«, und kramte Narzias Ring und Kette aus seiner Tasche.
    Als die Hunde die Schmuckstücke sahen, sprangen sie auf und kläfften erregt durcheinander. »Er hat den Ring!« rief einer, und ein anderer: »Nun sind wir gerettet!«
    »Wieso gerettet?« fragte Steinauge. »Was bedeuten euch diese Dinge?«
    »Weißt du denn gar nicht, was das für ein Ring ist?« fragte einer der Hunde.
    »Doch«, sagte Steinauge, »das weiß ich nur zu gut; denn Narzia hat seine Kraft an mir ausprobiert.«
    »So wie an uns«, sagte der Hund. »Damals nämlich, als sie uns einen nach dem anderen zu ihren Hunden gemacht hat.«
    »Dann wißt ihr vielleicht auch, welche Bewandtnis es mit dieser Kette hat«, sagte Steinauge. »Sie sieht mir ganz so aus wie eines von Narzias Zauberdingen.«
    Da drängte sich einer der Hunde vor und sagte: »Das weiß ich genau; denn wegen dieser Kette hat sie mich zum Hund gemacht. Narzia gefiel mir, und deshalb habe ich sie manchmal heimlich angeschaut, wenn sie am Fenster ihres Zimmers stand. Dabei habe ich ihre Zauberei beobachtet: Wenn sie sich die Kette so um den Hals legt, daß sie den Verschluß vorn über der Brust zusammenfügen kann, verwandelt sie sich, sobald der Haken geschlossen ist, in einen Falken und fliegt zum Fenster hinaus. Ich hatte gerade noch Zeit genug, mich zu verstecken, als ich das merkte. Wenn der Falke dann zurückkehrt, muß er mit dem Kopf voran durch die Kette kriechen, und schon ist er wieder ein Mädchen. Als ich auch dieses zweite Kunststück gesehen hatte, entdeckte sie mich draußen zwischen den Büschen, zeigte mit dem Finger auf mich, und aus ihrem Ring fuhr mir ein grüner Blitz durch den Leib. Gleich darauf lief ich als einer ihrer Hunde ums Haus. Wenn sie nicht umgekommen ist, hast du ihr Leben mit dieser Kette in der Hand; denn dann fliegt sie irgendwo als Falke am Himmel. Aber mit dem Ring kannst du uns wieder zu Menschen verwandeln. Steck ihn an den Finger und versuch’s!«
    »Das will ich gern tun«, sagte Steinauge. Er streifte sich Narzias Falkenring über den kleinen Finger, wies mit der Hand auf den Hund, der ihm das alles erzählt hatte, und sagte: »Sei ein Mensch!« Im nächsten Augenblick lag statt des Hundes ein junger Mann von Arnis Leuten am Boden und schien zu schlafen. Nun versuchte Steinauge seine Kunst auch an den andern Hunden, und alsbald lagen vier Männer unterschiedlichen Alters, zwei Frauen und ein Mädchen von vielleicht 17 Jahren rings um ihn schlafend im Gras. Steinauge versuchte, sie zu wecken, denn ihm war der Gedanke gekommen, daß einer von diesen Leuten auch ihm mit Hilfe des Ringes seine menschliche Gestalt zurückgeben könnte. Aber ihr Schlaf war so tief, daß es ihm nicht gelang.
    So ließ er sie schließlich in Ruhe, setzte sich ein Stück seitwärts von ihnen unter eine Birke und überlegte, was nun zu tun war. Die Beutereiter hatten sich offenbar vorgenommen, auch noch die Werkstätten der Goldschmiede von Arziak auszurauben. Als er sich vorstellte, daß die Horde dort ein ähnliches Blutbad anrichten könnte, wurde ihm kalt vor Entsetzen. Er dachte an das Mädchen mit den unbeschreibbaren Augen. Wenn es zu Hause bei seinen Eltern war, würde er ihm nicht mehr helfen können; denn selbst wenn er die Reiter noch hätte überholen können, was kaum in Betracht kam, so war es ihm doch völlig

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