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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Beine zu wundern wagen. Komm, wir machen uns auf den Weg zu Arnis Hütte.«
    Steinauge wollte sagen, daß er eigentlich erst am Morgen hatte aufbrechen wollen, doch dann schien ihm, daß er in der Begleitung dieses Mannes leichter zum Ziel kommen würde, und so erhob er sich und folgte der grauen Gestalt ins Freie. Draußen geriet er sofort in einen durchscheinenden Nebel, der von irgendwoher aufgehellt wurde, ohne daß man eine Lichtquelle hätte ausmachen können. Buschwerk glitt schemenhaft vorüber, vage Silhouetten von Baumstämmen, deren Kronen sich oben im milchigen Dunst verloren. Steinauge hätte nicht sagen können, ob er ging oder über den kaum wahrnehmbaren Boden schwebte; er hatte jedoch den Eindruck, daß die hingeduckten Sträucher und bald darauf das sperrige Unterholz merkwürdig rasch vorüberzogen, ohne daß auch nur ein Zweig seine Haut streifte.
    Auf solche Weise ging es immer weiter abwärts, erst durch lichten Wald, später zwischen locker stehenden Bäumen, und dann tauchte unversehens zwischen den Stämmen eine Gestalt auf, ein Mann, der nach der Art seiner Kleider zu Arnis Leuten zu gehören schien. Der Mann hob die Hand, als wolle er Steinauge zuwinken oder ihn in den Wald zurückscheuchen – so genau ließ sich das nicht entscheiden. Steinauge erschrak und versuchte sich hinter einem dicken Baumstamm zu verstecken. Da war der Graue plötzlich dicht neben ihm und zischte: »Warum fürchtest du dich vor diesem Mann? Siehst du nicht, daß er allein ist?«
    Er könnte bewaffnet sein, dachte Steinauge, und ehe er diese Befürchtung ausgesprochen hatte, reichte ihm der Graue schon Pfeile und einen starken Jagdbogen und sagte: »Laß dich nicht aufhalten! Denk an dein Ziel!«
    Da wußte Steinauge, was jetzt getan werden mußte, hatte schon den Pfeil auf die Sehne gelegt und suchte sein Ziel auf der Brust dieses Mannes, der im wiegenden Schritt eines Reiters langsam auf ihn zukam. Steinauge zog die Sehne zurück, und in dem Augenblick, da er sie nach vorn schnellen ließ, meinte er, den Mann zu erkennen, das schmale, faltige Gesicht mit den weißen Zöpfen über den Schläfen.
    Der Mann war nur wenige Schritte entfernt gewesen. Der Pfeil durchschlug ihm die Brust und nagelte ihn an den Baumstamm, vor dem er gerade stand. Steinauge hörte den dumpfen Schlag, mit dem sich die Spitze ins Holz bohrte, und fand sich zugleich auch schon dicht vor dem Getroffenen stehen. Er hatte schon gewußt, daß es Arni war, auf den er geschossen hatte, aber jetzt konnte er es genau sehen: Einzig gehalten von dem Pfeil, schien der alte Beutereiter an dem Baum eher zu hängen als zu stehen. Dort, wo der Pfeil in seine Brust eingedrungen war, rann ein dünner Blutfaden über das lederne Wams, aber Schmerzen schien Arni nicht zu spüren, denn er lächelte, daß tausend Fältchen um seine Augen aufsprangen, und sagte: »So ähnlich hat die ganze Geschichte damals angefangen. Weißt du noch? Nur hast du inzwischen selber das Schießen gelernt.«
    Steinauge starrte auf den alten Mann, der vor ihm an dem Baum hing, und spürte, wie das Entsetzen eisig und unaufhaltsam in ihm aufstieg. »Ich habe nicht gewußt, auf wen ich ziele«, sagte er. »Ich wollte dich nicht treffen.«
    »Wenn du schießt, dann solltest du auch damit rechnen, jemanden zu treffen«, sagte Arni. »Und wenn du dich schon dazu aufgemacht hast, Macht zu gewinnen und auszuüben, dann solltest du auch daran denken, daß jemand darunter leiden könnte. Hast du das denn noch immer nicht begriffen?«
    Ehe Steinauge eine Antwort darauf finden konnte, stand plötzlich der Graue zwischen ihm und Arni und sagte: »Laß den Alten doch sterben! Komm! Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun, als hier mit einem Toten zu diskutieren.«
    Er hatte diese Worte kaum zu Ende gesprochen, als Arni sich unvermittelt aufrichtete und mit solcher Kraft von dem Baum abstieß, daß der Pfeil hinter seinem Rücken knirschend aus dem Holz fuhr. Arni ging mitten durch den Grauen hindurch, als sei dieser überhaupt nicht vorhanden, und sagte: »Wer ist denn von uns beiden der Tote, du graues Gespenst?«
    Dort, wo eben noch der Graue gestanden hatte, war jetzt nur noch ein blasser, wabernder Nebel, der im nächsten Augenblick von einem Windstoß zerteilt und davongeweht wurde. Arni wedelte noch ein bißchen mit der Hand durch die Luft, um den letzten Rest zu vertreiben wie einen lästigen Gestank, und sagte: »Du hättest besser auf deinen Stein achtgeben sollen, du Bogenschütze!« Der

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