Stein und Flöte
dumpf in das modrige Vorjahrslaub, voller Angst, irgendein umherstreifender Reiter könne ihn hören. Mit tränenden Augen starrte er hinüber zu der lodernden Feuersbrunst und versuchte den Gedanken fernzuhalten, daß er all das hätte aufhalten können, wenn er der Magd bis ins Dorf gefolgt wäre. So lag er noch, als schon die Nacht hereingebrochen war und nur noch die immer wieder aufflackernden Flammen das Dunkel aufhellten. Die Horde saß jetzt wohl im Kreis auf dem Dorfplatz, und der Khan verteilte die Beute. Steinauge hörte die erregten Rufe der Reiter und hie und da einen Freudenschrei, wenn einer ein besonders kostbares Stück erhalten hatte.
Unvermittelt fegte dann von den Bergen herab ein scharfer Windstoß, und gleich darauf rauschte ein Regenguß von solcher Heftigkeit herab, daß das Bild des brennenden Dorfes von einem zum andern Augenblick ausgelöscht wurde. Steinauge verkroch sich tiefer in das tropfende Gebüsch und wartete auf den Morgen. Als der Himmel im Osten über der Steppe endlich heller zu werden begann, riefen die Reiter nach ihren Pferden, und bald darauf sah Steinauge, wie sie im ersten Morgengrauen ihre Tiere den steilen Pfad hinaufzogen.
Steinauge wartete, bis der letzte Reiter oben am Berghang außer Sicht gekommen war. Der Regen hatte das Feuer gelöscht, aber von den Brandruinen stiegen immer noch vereinzelte Rauchfäden auf. Vorsichtig schlich sich Steinauge an das Dorf heran und lauschte auf jeden Laut. Aber es war nun nichts mehr zu hören als hie und da das Krachen eines herabstürzenden Balkens und das Krächzen von Krähen, die um ihren Fraß stritten. Er hielt sich unter den Bäumen, die bis an die Häuser heran und auch noch zwischen ihnen standen, und schlich sich so ins Dorf. Auf der Schwelle der ersten Blockhütte, die bis auf die untersten Balkenlagen heruntergebrannt war, lag ein Toter, dem ein Pfeil aus dem Rücken spießte. Aber hier wollte Steinauge ja auch nicht eintreten. Er hielt sich im Schatten des Erlengebüsches, das den Weg säumte, und erreichte so die Mitte des Dorfes. Arnis altersgraue Hütte stand als einzige unversehrt. Offenbar hatte Hunli sich gescheut, auch das Haus seines Bruders zu zerstören. Aber der Platz ringsum war übersät mit Erschlagenen, von denen kreischend die Krähen aufflatterten, um ihren Fraß gegen den Eindringling zu verteidigen. Aber der wollte ihnen ohnehin nichts streitig machen, sondern wendete sich von dem grausigen Anblick ab und pirschte sich von der Rückseite her an Narzias Haus heran. Das Dach war eingestürzt, verkohltes Gebälk ragte ins Leere, aber der Teil, in dem er seine Stube gehabt hatte, stand noch bis über Mannshöhe.
Ehe er sich noch schlüssig geworden war, an welcher Stelle er sich Einlaß verschaffen sollte, hörte er rasche flüchtige Schritte und verbarg sich in den Sträuchern. Da kam auch schon ein halbwüchsiges Mädchen in einem hellen Leinenkittel um die Hausecke gerannt, sprang in weiten Sätzen über Sparren und Balken und verschwand ebenso rasch, wie es aufgetaucht war, in den Erlen. Steinauge hörte es noch wie gehetzt durch die Büsche brechen, dann war alles vorbei wie ein Spuk. Das Ganze geschah so schnell, daß er kaum mehr hatte erkennen können als den rußbefleckten Kittel, der um die Waden des Mädchens flatterte, aber er hatte dennoch das Gefühl, dieses Mädchen schon einmal gesehen zu haben, dieses Kind, das so schnell laufen konnte wie ein flüchtendes Reh. Und jetzt schien es ihm auch, daß es irgend etwas in der Hand gehalten hatte wie eine Beute, irgend etwas Schmales, Blitzendes.
Steinauge wartete noch eine Weile, und als weiterhin alles still blieb, machte er sich an den Einstieg. Durch ein rauchgeschwärztes Fenster gelangte er in den Flur des Hauses. Die Decke war zur Hälfte heruntergebrochen, und der beißende Brandgeruch verschlug ihm den Atem. Er zwängte sich durch ein Gewirr von zersplitterten und angesengten Brettern bis zu seiner Stube. Die Tür war aus der Angel gebrochen und hing schräg in den Raum hinein, aber innen schien noch alles an seinem Platz zu sein. Tisch und Stühle standen in der Mitte, das Bett an der Wand war aufgeschlagen, und das Leinenzeug hing herunter auf den Boden, als sei jemand in großer Hast herausgesprungen. Und das versteckte Wandfach über dem Bett stand offen. Dort hatte Steinauge seine Besitztümer verwahrt gehabt. Er stieg auf das Bett und tastete mit der Hand in die Tiefe. Aber die Flöte war nicht mehr da. Statt dessen stießen
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