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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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endlich!«
    »Warte!« sagte das Wiesel. »Wußte sie nicht über das Mädchen Bescheid? Ihre Boten sind vielleicht schneller als deine Füße.«
    »Möglich wäre das schon«, sagte Steinauge. »Ich weiß aber nicht, wie ich sie rufen kann. Ich kenne nicht einmal ihren Namen.«
    »Wasserfrauen kommen, wenn man ihnen etwas zum Geschenk macht«, sagte das Wiesel. »Ich dachte, du wüßtest das.«
    »Woher denn?« sagte Steinauge. »Was habe ich ihr denn das letzte Mal geschenkt?«
    »Das Lied, das du auf deiner Flöte gespielt hast«, sagte das Wiesel.
    Steinauge zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Flöte mehr«, sagte er, »und mir bleibt auch zu wenig Zeit, eine zu bauen.«
    Doch das Wiesel ließ sich nicht entmutigen. »Hast du nichts anderes, das du ihr schenken könntest?« fragte es.
    Steinauge schüttelte den Kopf. »Was meinst du denn, was ich für Kostbarkeiten bei mir trage?« sagte er. »Sieh selber!« und schüttete den Inhalt seiner Ziegenhaartasche auf den Boden. Zwischen Haselnüssen, Feuerstein und Messer rollte Narzias Ring ins Moos, und dann glitt auch noch wie eine schmale, funkelnde Schlange das Falkenhalsband hinterher.
    »Und du behauptest, nichts Kostbares bei dir zu tragen!« sagte das Wiesel vorwurfsvoll. »Hängst du so an diesen Glitzerdingern, daß du dich nicht davon trennen willst?«
    »Du lieber Himmel, nein!« rief Steinauge. »Diese Sachen hatte ich ganz vergessen. Ich bin froh, wenn ich das verfluchte Zauberzeug loswerde. Es wäre schlimm, wenn es Narzia noch einmal in ihre Klauen bekäme.« Er raffte die beiden Schmuckstücke vom Boden auf, trat rasch ans Ufer und warf sie in weitem Schwung mitten in den See. »Wasserfrau!« rief er. »Wasserfrau! Komm und hilf mir!«
    Ring und Halsband tauchten fast geräuschlos in die vom hereinstürzenden Bach ständig kabbelig bewegte Fläche, die sich ohne einen Spritzer über ihnen schloß, als habe ein Mund die beiden Kostbarkeiten verschluckt. Steinauge sah es in der Tiefe noch einmal grünlich aufblitzen, dann geschah eine Zeitlang nichts mehr. Nur der Wasserfall rauschte und sprühte wie eh und je. Dann wallte der See in der Mitte plötzlich auf, und in einem brausenden Schwall tauchte die Wasserfrau empor. Sie schüttelte ihr grünlichblondes Haar, daß die Tropfen bis ans Ufer spritzten und Nadelzahn mit einem empörten Schrei zur Seite sprang. Die Wasserfrau lachte hell auf und sagte mit ihrer singenden Stimme: »Wer das Wasser ruft, bekommt ein nasses Fell! Was willst du von mir, Steinauge? Du mußt große Sorgen haben, wenn du so kostbare Zauberdinge opferst.«
    »Soll ich mir keine Sorgen machen, wenn Hunlis Horde nach Arziak reitet?« sagte Steinauge. »Ich habe Angst um das Mädchen, das ich schon zweimal im Flachen Tal getroffen habe.«
    »Das du schon zweimal erschreckt hast«, sagte die Wasserfrau und lachte wieder. »Du willst es wohl noch ein drittes Mal erschrecken?«
    »Nein! Nein!« sagte Steinauge hastig. »Ich möchte es warnen, aber ich fürchte, es wird dafür schon zu spät sein, bis ich den weiten Weg über die Berge hinter mich gebracht habe. Kannst nicht du ihm eine Botschaft schicken?«
    »Das kann ich«, sagte die Wasserfrau, »allerdings nur dann, wenn das Mädchen irgendwo an einen Bach oder an einen Teich kommt. In der Steppe oder im trockenen Wald können es meine Freunde nicht finden.« Und dann hob die Wasserfrau ihre helle Stimme und sang:
    »Eilt, meine Freunde, und ruhet nicht,
    sucht das Mädchen, das mit den Fischen spricht!
    Sagt es jedem, der schwimmt in Bach oder Kolk,
    ob Karpfen, ob Saibling oder Unkenvolk:
    Die Beutereiter ziehen heran!
    Es soll laufen, so schnell es laufen kann!
    Zeigt ihm ein Versteck, das kein Reiter erspäht!
    Rasch! Findet es, eh dieser Tag vergeht!«
    Noch während sie sang, wurde der See ringsum von unzähligen Fischen aufgequirlt, Forellen sprangen blitzend ins Licht der Morgensonne und fielen platschend zurück in das Wasser, Hechte schossen heran wie dunkle Pfeile, selbst die behäbigen Karpfen legten einen Schwanzschlag zu und hoben ihre runden, bebartelten Mäuler aus dem Wasser. Sobald das Lied zu Ende war, glitten die Fische nach allen Richtungen auseinander und verschwanden in der grünen Tiefe.
    »Mehr kann ich für dich nicht tun«, sagte die Wasserfrau. »Um das, was auf dem trockenen Land geschieht, mußt du dich schon selber kümmern. Aber vergiß eines nicht, du ungeduldiger Faun: Die Dinge sind oft nicht so, wie sie im Augenblick zu sein scheinen. Wenn

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