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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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er sah, als er die Augen öffnete, war der Mäuserich ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹, der neben ihm im Gras hockte und seine langen Schnurrbarthaare putzte. Er unterbrach sofort diese Tätigkeit und sagte: »Guten Morgen, Träger des Steins!« und vollführte eine höfliche Verbeugung. »Ich bin schon eine Weile hier, aber ich wollte dich nicht wecken; denn dein Freund Nadelzahn hat mir gesagt, daß du einen ruhigen Schlaf nötig hast.«
    »Du hast dich offenbar daran gewöhnt, auch mit Wieseln zu sprechen, du tapferer Mäuserich«, sagte Steinauge, nachdem er seinen Freund begrüßt hatte.
    »Das bin ich meinem Namen wohl schuldig«, sagte der Mäuserich und warf sich auf zierliche Weise in die Brust. »Außerdem sind deine Freunde auch meine Freunde.«
    »Nadelzahn wird sich sehr geehrt fühlen, einen solchen Freund zu haben«, sagte Steinauge. »Er hält sehr viel von dir und hat mir auch geraten, dich zu Hilfe zu rufen.« Und dann erzählte er dem Mäuserich, wie es sich mit dem Stein verhielt. »Diesmal ist es nicht nur eine kleine Bergwiese, die ihr abzusuchen habt«, beendete er seinen Bericht. »Der Stein kann überall liegen, wo ein Falke sich niederlassen kann. Ich frage mich überhaupt, ob ich dich dieses Steins wegen in Gefahr bringen soll, denn der Falke wird seinen Schatz im Auge behalten.«
    Da richtete sich der Mäuserich so hoch auf, wie er nur konnte, und sagte: »Willst du einen guten Freund beleidigen?«
    »Das liegt mir fern«, beeilte Steinauge sich zu beteuern. »Ich möchte dich nur nicht verlieren.«
    »Keine Sorge!« sagte der Mäuserich. »Wer mit Schlangen und Wieseln gesprochen hat, wird wohl auch noch mit einem Falkenweibchen zurechtkommen. Wohin soll ich dir den Stein bringen?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Steinauge. »Ich habe einen langen Weg vor mir und kann dir nicht sagen, wo ich mich in der nächsten Zeit aufhalten werde. Bewahre den Stein für mich auf, wenn es dir gelingen sollte, ihn dem Falken abzujagen. Du sollst ihn hüten, bis ich nach dir rufe.«
    Da verneigte sich der Mäuserich tief und sagte: »Die Freundschaft zu dir hat mir einen großen Namen eingebracht, aber dies ist die höchste Ehre, die mir je zuteil werden wird: der Hüter des Steins zu sein. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.«
    »Erst mußt du ihn finden«, sagte Steinauge. »Aber wenn ich dich so ansehe, glaube ich fast, daß es dir gelingen könnte!«
    Ehe der Mäuserich noch zu weiteren feierlichen Reden ansetzen konnte, kehrte das Wiesel von der Jagd zurück und schleifte ein Birkhuhn hinter sich her. »Ich denke, das reicht für uns drei zum Frühstück«, sagte es und legte seine Beute Steinauge zu Füßen.
    Der Mäuserich gab sich alle Mühe, seine Abscheu zu verbergen, und sagte zu Nadelzahn: »Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, wenn ich dieses Vögelchen euch beiden überlasse. Für drei ist es wohl ein bißchen zu klein.«
    »Das ist sehr großherzig von dir«, sagte Steinauge und versuchte ernst zu bleiben, damit ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ nicht sein Gesicht verlor. »Willst du statt dessen ein paar Haselnüsse von mir annehmen?«
    »Mit dem größten Vergnügen«, sagte der Mäuserich. Gleich darauf hatte Steinauge Feuer gemacht, den Vogel gerupft und ausgenommen und drehte ihn an einem hölzernen Spieß über der Glut.
    Während es sich alle drei schmecken ließen, sagte der Mäuserich zu Steinauge: »Es steht mir zwar nicht an, dich danach zu fragen, aber ich wüßte gern, was das für ein langer Weg ist, den du vor dir hast.«
    Da merkte Steinauge, daß ihn seine Erheiterung über das würdige Gebaren des Mäuserichs für kurze Zeit hatte vergessen lassen, wozu er unterwegs war. Der Gedanke, was inzwischen im Tal von Arziak geschehen sein mochte, fiel ihm wie ein Stein auf seine Seele, und er sagte: »Durch meine Schuld sind bei Arnis Hütte entsetzliche Dinge geschehen. Jetzt will ich versuchen, wenigstens ein Mädchen, das jenseits der Berge wohnt, vor den Beutereitern zu retten. Gut, daß du mich daran erinnert hast. Ich sitze schon viel zu lange hier beim Frühstück. Komm endlich, Nadelzahn! Wir müssen uns beeilen, wenn es nicht überhaupt schon zu spät ist.«
    »Wer es eilig hat, sollte vorher bedenken, wie er am schnellsten zum Ziel kommt«, sagte das Wiesel. »Erinnerst du dich noch an die Wasserfrau, die wir vor einem Jahr hier getroffen haben?«
    »Natürlich«, sagte Steinauge und machte sich zum Gehen bereit. »Aber was soll sie mir jetzt nützen? Komm

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