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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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unmöglich, ihnen auf dem Weg über das kahle Felsengebirge zu folgen, wo es weit und breit keinen Baum gab, der ihm Schutz bieten könnte. Er würde den langen Umweg durch die Wälder machen müssen. Aber es gab noch die Hoffnung, daß dieses Mädchen sich im Flachtal bei den Pferdehirten aufhielt, und dort würde er es warnen können.
    Er sprang auf, um sich sofort auf den Weg zu machen, doch dann fiel ihm ein, daß er zuvor noch etwas zum Essen auftreiben mußte; denn sein Vorrat an Nüssen ging zu Ende. Der Speicher neben dem Haus war ausgebrannt, und die Beutereiter schienen ihn vorher, wenn auch hastig und mit wenig Sorgfalt, ausgeräumt zu haben. Unter einer Kiste, die draußen vor der Tür liegengeblieben war, fand er eine Menge zerbrochener Härtbrotfladen, und daneben im Gebüsch hatte einer der Plünderer einen Streifen Rauchspeck verloren. Steinauge verwahrte das alles in seiner Tasche, und als er danach hinters Haus ging, sah er, daß die Schläfer aufgewacht waren und in erregtem Gespräch beieinanderstanden. Sobald sie ihn erblickten, schrien sie allesamt erschrocken auf und wichen zurück.
    »Was habt ihr denn?« fragte Steinauge. »Als Hunde wart ihr viel zutraulicher.«
    Da faßte sich einer der Männer ein Herz und sagte: »Vorhin haben wir dich mit den Augen von Tieren betrachtet, aber jetzt ist dein Anblick für uns schwer zu ertragen. Ich bitte dich, komm nicht näher. Die Frauen hier haben schon genug an Schrecklichem ansehen müssen.« Es war ihm aber anzumerken, daß er sich genauso fürchtete. Viel Hilfe war von diesen Leuten wohl nicht zu erwarten. So sagte Steinauge nur: »Ich kann ohnehin nicht hierbleiben, denn ich habe noch einen eiligen Weg vor mir.«
    Die sieben Leute schienen sehr erleichtert zu sein, als sie das hörten, und der älteste von ihnen sagte: »Versteh uns bitte nicht falsch. Wir sind dir sehr dankbar. Können wir nicht etwas für dich tun?«
    Da faßte Steinauge wieder Hoffnung und sagte: »Vielleicht könnt ihr das wirklich. Wenn der Ring seine Zauberkraft an euch erwiesen hat, dann könnte er auch mir meine menschliche Gestalt zurückgeben. Will einer von euch den Versuch wagen?«
    Der Alte hob abwehrend die Hände und sagte: »Ich will diesen verfluchten Ring nicht berühren! Es könnte ja sein, daß er mich wieder zum Hunde macht.«
    Da sagte das Mädchen, das eine Hündin gewesen war, zu dem Alten: »Hast du schon vergessen, was der Bocksfüßige hier für uns getan hat?« Sie vermied es, Steinauge anzuschauen, aber sie rief ihm zu: »Wirf den Ring herüber!« Sie fing ihn geschickt aus der Luft, steckte ihn an den Finger, wies mit der Hand auf Steinauge und rief: »Sei ein Mensch!« Doch die erhoffte Wirkung blieb aus.
    Das hatte Steinauge befürchtet; denn er hatte die ganze Zeit über an den Fluch gedacht, den Narzia auf ihn gelegt hatte. »Ich danke dir, daß du es wenigstens versucht hast«, sagte er zu dem Mädchen. »Ich hätte kaum etwas anderes erwartet, es sei denn, du hättest mich so wie ich bin in die Arme genommen wie deinen Liebsten.«
    Jetzt hob das Mädchen den Blick, starrte entsetzt auf den zottigen, bocksbeinigen Unhold und fing an zu zittern. »Nein!« flüsterte es. »Nein! Das kann ich nicht!«, warf ihm den Ring zurück und schlug die Hände vors Gesicht.
    »Das war wohl auch nicht zu verlangen«, sagte Steinauge. »Was habt ihr jetzt vor?«
    »Zuerst müssen wir die Toten begraben«, sagte der Alte. »Aber länger wollen wir hier nicht bleiben, denn wir fürchten uns vor den Reitern Khan Hunlis. Irgendwann werden sie zurückkommen und auch uns noch erschlagen. Wir wollen uns in den Wäldern verstecken, auch wenn das ein hartes Leben für die Frauen werden wird.«
    »Da weiß ich etwas Besseres«, sagte Steinauge und erzählte ihnen von der Höhle, in der er drei Winter verbracht hatte. Er beschrieb ihnen den Weg und fuhr fort: »In der Nähe werdet ihr eine Ziegenherde antreffen, die ein einhörniger Bock führt. Ihr könnt die Tiere melken, aber seid freundlich zu ihnen, denn es ist meine Herde.« Dann winkte er ihnen zu und schlug sich in die Büsche.
    Nun mußte er wieder durch die Wälder rennen, nur ging es diesmal bergauf, und das war noch anstrengender. Aber er rannte und rannte, weil er ständig an das Mädchen mit den kaum beschreibbaren Augen denken mußte und daran, was ihm zustoßen könnte, wenn es in die Hände der Beutereiter fiel. Er hatte beschlossen, den Weg einzuschlagen, den ihm Nadelzahn im vergangenen Jahr gezeigt

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