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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Felswand in die grünen Augen geblickt und ihm die Wahrheit über sein Leben ins Gesicht gesagt. Jetzt bringt den Stein nach Hause und verwahrt ihn sicher, bis der Träger des Steins nach ihm verlangt.«
    Da verneigten sich alle Mäuse tief, und die älteste von ihnen sagte: »Wir danken dir, Rinkulla, daß du schon wieder einem aus unserm Volk solche Ehre erwiesen hast. Du kannst sicher sein, daß ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ den Stein gut hüten wird.« Die Schlange neigte ihren Kopf und zog sich in die Höhle zurück. Die Mäuse aber beeilten sich, den Stein mit vereinten Kräften in ihre Höhle zu schaffen, ehe der neue Tag anbrach.
    Als der Stein endlich sicher in der Tiefe des Mäusebaus auf einem Bett von fein gezupfter Mäusewolle lag, wohl bewacht von dem ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹, der seinen Posten als Hüter des Steins sogleich eingenommen hatte, und das ganze Volk zusammengedrängt rings um das Kleinod beieinanderhockte, fand ›Der-dem-Falken-weissagt‹ endlich Zeit, von seinen Erlebnissen zu berichten. Wie er zu seiner Begegnung mit Rinkulla kam, blickte ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ ein bißchen eifersüchtig auf diesen jungen Helden; denn er war ja nun nicht mehr der einzige, der mit der Schlange gesprochen hatte. Die neue Ehre jedoch, die er als Hüter des Steins hinzugewonnen hatte, mochte diesen Verlust aufwiegen; denn als der junge Mäuserich seine Erzählung beendet hatte, sagte ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹: »Du hast deinen Namen zu Recht gewonnen, ›Der-dem-Falken-weissagt‹, und um dich zu ehren, bitte ich dich, dem Träger des Steins die Nachricht zu überbringen, daß der Stein gefunden und in meiner Obhut ist.«
    Der junge Mäuserich verbeugte sich höflich und sagte: »Es sieht so aus, als solle ich in dieser Angelegenheit kaum zu Atem kommen. Aber das muß wohl so sein, wenn man erst einmal solche Ehren erlangt hat. Kannst du mir sagen, wie ich den Träger des Steins finden soll? Ich habe ihn noch nie im Leben gesehen.«
    »Das ist nicht schwer«, sagte ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹. »Frage nach einem, der oben wie ein Mensch aussieht und unten wie ein Ziegenbock. Wer ihn getroffen hat, wird sicher auch noch wissen, wohin er gegangen ist.«
    So machte sich ›Der-dem-Falken-weissagt‹ am nächsten Morgen auf, fragte diesen und jenen und gelangte auf solche Weise bis in den Schauerwald. Hier erschrak er fast zu Tode, als er einen dicken verwachsenen Fichtenstamm umging und dabei fast mit einem Wiesel zusammenstieß. Mit einem riesigen Satz sprang er ins Unterholz, doch das Wiesel rief ihm nach, er solle keine Angst haben. »Ich fresse keine Mäuse«, sagte es. »Das habe ich Steinauge versprochen.«
    Auf diese Anrede hin wagte sich der Mäuserich wieder aus dem Gebüsch heraus und fragte das Wiesel, ob es etwa Nadelzahn heiße, und als das Wiesel dies bejahte, richtete er ihm Grüße von ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ aus, stellte sich höflich mit seinem Namen vor und fragte das Wiesel, ob es ihm sagen könne, wo Steinauge zu treffen sei.
    »Habt ihr seinen Stein gefunden?« fragte das Wiesel.
    »Ja«, sagte der Mäuserich. »Ich hatte das Glück, ihn im Horst des Falken zu entdecken.«
    Das Wiesel pfiff anerkennend. »Ihr Mäuse scheint ja wirklich ganz tüchtig zu sein, wie man schon an euren klangvollen Namen hören kann«, sagte es. »Ihr redet mit Schlangen und Falken wie mit euresgleichen und laßt euch von einem Wiesel den Weg zeigen.« Und dann beschrieb es ihm, wie man zu der Quelle oberhalb des Flachtals kam. »Dort hat er sich immer aufgehalten, wenn er allein sein wollte«, sagte es.
    Der Mäuserich bedankte sich, und das Wiesel sagte: »Es war mir eine große Ehre, dich kennenzulernen«, ehe sich beide trennten. Für die kleinen Beine eines Mäuserichs war es noch ein weiter Weg über die Bergkuppe, hinunter ins Flachtal und dann noch bachaufwärts bis zum Birkenwald und dem gewaltigen Ahorn, aber nach ein paar Tagen hatte er es geschafft und richtete seine Botschaft aus.
    Er sah nun wieder die graupelzige Maus am Rand des Beckens sitzen und fand es erstaunlich, wozu so ein winziges Tier imstande war. Vieles von dem, was er bei diesen Mäusen gesehen und gehört hatte, war ihm zwar vertraut erschienen, doch er hatte es erlebt wie ein Zuschauer, den diese Dinge nicht weiter betrafen. Aber merkwürdig erschien es ihm schon, was hier wegen eines Steins alles veranstaltet wurde, und er fragte sich, was dieser Falke damit eigentlich hatte

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