Stein und Flöte
bis zu seinem Horst in der unersteigbar schroffen Felswand, in deren unzugänglicher Einsamkeit er seinen Schatz in Sicherheit brachte.
Eine trügerische Sicherheit, wie sich schon herausgestellt hatte; denn dies alles mußte geschehen sein, ehe dieser Mäuserich ›Der-dem-Falken-weissagt‹ die Felswand dann doch erstiegen und den Stein an sich gebracht hatte. War der Ablauf der Dinge durcheinandergeraten? Oder gar die Zeit außer Kraft gesetzt? Vielleicht gab es keine Zeit mehr, wie es auch keine Begrenzung des Raumes mehr zu geben schien, die einen daran hinderte, im gleichen Augenblick hier und dann schon meilenweit entfernt zu sein. Er war verwirrt wie ein Zuschauer, dem es noch nicht gelungen ist, den Sinn eines Spielstückes zu durchschauen, und den es zugleich reizt, diesen Sinn weiter zu ergründen, vielleicht, weil er – ohne es selbst zu ahnen – nach dem Punkt sucht, an dem sich herausstellt, daß all diese Vorgänge ihn selbst betreffen.
Vorderhand war er jedoch noch weit davon entfernt, sich davon betroffen zu fühlen, und hielt sich deshalb an Einzelheiten, die ausschließlich seinen Verstand beschäftigten. Da war zum Beispiel diese Sache mit der Halskette, die ihm so rätselhaft erschien, daß er sie für wichtiger hielt als vieles andere. Er führte sich noch einmal vor Augen, wie die Verwandlung in dem Augenblick vor sich gegangen war, als die Grünäugige die Kette um ihren Hals gelegt und vorn geschlossen hatte. Wie stellte sie es wohl an, ihre menschliche Gestalt zurückzuerhalten? Und vor allem: Woher kamen solche Zauberdinge? Wer besaß die Kunstfertigkeit, dergleichen herzustellen? Das hätte er gerne gewußt.
Und da saß auch schon ein unglaublich magerer, weißhaariger Greis vor ihm, der in eine Art Kutte aus blauer Seide gehüllt und damit beschäftigt war, winzige goldene Glieder zu einer Kette zusammenzufügen. Bei näherem Hinschauen war zu erkennen, daß jedes dieser filigranzarten Glieder die Gestalt eines auffliegenden Falken besaß, die ihre Klauen jeweils in die Flügel des nachfolgenden geschlagen hatten. Nicht nur das kostbare Gewand deutete darauf hin, daß es sich hier um alles andere als einen gewöhnlichen Handwerker handelte. Der Tisch, an dem der Mann saß, erinnerte noch am ehesten an die Werkbank eines Goldschmiedes, doch war auch hier alles sehr kostbar ausgestattet. Der Tisch hatte eine spiegelblank geschliffene Platte aus schwarzem, von leuchtendgrünen, vierkantigen Einsprengseln durchsetzten Stein, auf der unter der entstehenden Arbeit ein schwarzsamtenes Tuch ausgebreitet war, und daneben funkelten im Licht der durch ein weites Fenster einfallenden Sonne aufblinkende winzige Werkzeuge unterschiedlichster Form, die hier griffbereit aufgereiht lagen. Der Raum selbst schien eine merkwürdig verquere Form zu haben, bis man herausfand, daß er fünfeckig war. An den Wänden standen gläserne Vitrinen, in denen kostbares Geschmeide blitzte; und in einem eigenen, gleichfalls verglasten Schrank lag allerlei edles Gestein in seiner natürlichen Form, aufspießende Kristalle von violetter, sonnengelber und moosgrüner Farbe, manche auch wasserhell und durchsichtig, nußgroße Rohstücke von Smaragden, Rubinen und Saphiren, Brocken von grüngebändertem Malachit, milchige Opale, unter deren blasser Oberfläche unzählige vielfarbige Glanzlichter flimmerten, und allerlei seltsam geformte, baumartig verzweigte Gebilde mit glatter, feuerroter Haut.
Dann mischte sich in das leise Klirren der Werkzeuge ein gläsern schwingender Ton, der von einer weiten, kristallenen Schale auszugehen schien, die neben der Tür auf einer Säule ruhte. Der Alte blickte auf und sagte mit brüchiger Stimme: »Tritt ein, ich habe schon auf dich gewartet.« Jetzt, wo er den Kopf gehoben hatte, konnte man erst richtig sehen, wie hinfällig dieser Goldschmied aussah: kalkweiße, fleckige Haut spannte sich über die Wangenknochen, und die scharfe Nase sprang aus dem Gesicht hervor wie ein Vogelschnabel.
Inzwischen hatte sich die Tür geöffnet, und auf der Schwelle stand ein Mann von auffallend hohem Wuchs, der ein leuchtendrotes, fußlanges Gewand trug. Er war mittleren Alters und schien viel ins Freie zu kommen; denn sein Gesicht war über dem tiefschwarzen Bart von der Sonne braungebrannt. Ihm folgte ein Mädchen, das man zunächst für die Grünäugige hätte halten können, doch als es an der Seite des Rotgewandeten auf den Arbeitstisch zuging und aus dem Schatten in das hereinflutende
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