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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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ihm ein runder Stein, unter dessen glatter Oberfläche im Licht der Sonne farbige Ringe aufschimmerten wie in einem lebendigen Auge. Das Spiel der Farben spiegelte sich in seinen Augen wider, die Kreise von Blau, Grün und Violett breiteten sich aus und glitten über sein samtiges Fell, bis er völlig eingehüllt war von ihrem sanften Glanz. Ohne sich zu bewegen, blieb der Mäusejunge eine Weile so sitzen, nur seine Schnurrbartspitzen vibrierten ein wenig.
    Schließlich zerbrach er den Zauber, kroch vorsichtig zum Rand des Horstes und schickte einen gellenden Pfiff hinunter zum Hang. Gleich darauf kamen von allen Seiten Mäuse herangehuscht und versammelten sich unten am Fuß der Felswand.
    »Hast du den Stein?« rief eine herauf, und der Junge antwortete: »Ja. Er liegt hier oben und ist so schön, daß man kaum die Augen davon abwenden kann.«
    »Komm nicht ins Träumen, Junge!« antwortete die andere Maus. »Willst du warten, bis der Falke zurückkommt? Wirf den Stein zu uns herunter!«
    Doch ehe der Mäusejunge diesem Rat folgen konnte, tauchte über dem Wald wieder der Falke auf und pfeilte mit einem schrillen Schrei heran. Die Mäuse unten auf dem Hang stoben auseinander und waren im nächsten Augenblick schon nicht mehr zu sehen, und oben plagte sich der Junge damit ab, den Stein durch das verfilzte Gestrüpp nach unten zu zerren. Es gelang ihm eben noch, den Stein und dann auch sich selbst in der Felsspalte hinter dem dichten Wurzelgeflecht des Strauches in Sicherheit zu bringen, als oben der Falke auf dem Horst niederging.
    »Dieb!« schrie der Falke. »Dieb! Wo bist du? Wo hast du meinen Stein versteckt? Ich habe dich gesehen! Du mußt noch hier sein! Gib den Stein heraus, ehe ich dir den Hals umdrehe!«
    Der Mäusejunge saß zitternd in seinem Versteck und rührte sich nicht. Da fing der Falke an, voller Wut seinen Horst auseinanderzureißen. Er fegte mit seinen Krallen die dürren Zweige in den Abgrund, bis kein Hölzchen mehr auf der Felskante lag. Und jetzt konnte er den Mäusejungen sehen, der hinter den Wurzelsträngen in der Felsspalte hockte und mit den Vorderpfoten den Stein an seine Brust drückte.
    »Da bist du ja, du kleiner, schäbiger Dieb!« schrie der Falke. »Gib den Stein heraus!«
    Der Mäusejunge zitterte noch immer am ganzen Körper, aber er hob den Kopf, schaute dem Falken in die grünen Augen und sagte: »Nein!«
    Da fing der Falke an, mit seinem scharfen Schnabel die zähen Wurzeln auseinanderzufetzen, doch es gelang ihm nicht, zu dem Jungen vorzudringen. Er stieß sich den Kopf blutig, aber es nützte ihm nichts. Schließlich gab er es auf und stellte sich breitbeinig über die Spalte. »Irgendwann wirst du herauskommen müssen«, sagte er. »Ich kann warten.«
    »Das kann ich auch«, sagte der Mäusejunge und zog sich sicherheitshalber noch ein Stück weiter in die Felsspalte zurück.
    »Du bist ziemlich frech, du Dieb!« sagte der Falke wütend. »Warte nur! Ich werde es dir und deinesgleichen schon heimzahlen!«
    »Warum beschimpfst du mich?« sagte der Mäusejunge. »Bist du nicht selber ein Dieb? Hast du den Stein nicht dem gestohlen, der ihn von Rechts wegen besitzt?«
    »Was geht dich das an, du Klugschwätzer!« keifte der Falke. »Das ist Arnis Stein, und ich bewahre ihn nur, weil das Glück von Arnis Leuten an ihm hängt.«
    »Was du nicht sagst!« antwortete der Mäusejunge. »Wie man hört, soll es Arnis Leuten in den letzten Tagen nicht besonders gut gegangen sein.«
    Der Junge hatte das nur leise gesagt, aber seine Worte brachten den Falken noch mehr in Wut. »Das freut dich wohl?« schrie er. »Du wirst schon sehen, ich werde mir wieder ein Volk zusammenbringen!«
    »Merkst du denn nicht, daß du schon ins Unglück geraten bist?« sagte der Mäusejunge. »Man sagt ja, daß der Stein jeden, der ihn dem wahren Träger stiehlt, nur ins Verderben stürzt. Du solltest froh sein, daß ich ihn dir weggenommen habe.«
    »Was weißt du denn von solchen Dingen?« schrie der Falke. »Hast du ihn nicht selbst gestohlen?«
    »Das ist etwas anderes«, sagte der Mäusejunge. »Ich handle nur im Auftrag seines wahren Besitzers.«
    »Ach, so ist das!« schrie der Falke. »Da ist dieser Bocksfüßige also schon von den Ziegen auf die Mäuse gekommen! Eine bessere Gesellschaft als bei den Kleinsten und Schwächsten hat er wohl nicht finden können?«
    Als er das hörte, richtete sich der Mäusejunge auf und trat sogar einen Schritt vor, allerdings nur so weit, daß ihn der Schnabel des

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