Stein und Flöte
anfangen wollen. Einstweilen verbeugte sich die Maus auf äußerst feierliche Weise, als wolle sie sich von einem sehr viel höher gestellten Gegenüber verabschieden. »Ich hoffe, daß meine Worte diese verehrungswürdigen Ohren erreicht haben, die so aussehen, als wären sie von Stein«, sagte sie noch, verneigte sich abermals und huschte zwischen den hellen Birkenstämmen davon.
Er verstand nicht so recht, was das alles bedeuten sollte. Im Vergleich zu den Ereignissen, die er zuvor in dieser anderen Welt bei den Mäusen erlebt hatte, war ja auch wohl nicht weiter wichtig, was diese Maus, die eben noch dort gesessen hatte, hier gewollt haben mochte. Auf dem Rand des Quellbeckens war nun nichts mehr zu sehen als diese Flügelchen, von denen hie und da, wenn der Wind durch den Baum fuhr, immer noch mehr herabwirbelten. Dann flötete irgendwo ein Vogel, flötete und flötete und wollte überhaupt nicht mehr aufhören. Es war fast nicht vorstellbar, daß eine solch klare, kunstvoll gebaute Melodie von derartiger Süßigkeit aus dem kleinen Schnabel eines Vogels kommen könne. Aber wer sollte hier sonst schon flöten? Es mußte wohl doch ein Vogel sein, der weiter unten im Tal sein Lied sang und sich noch lange hören ließ.
Schließlich verstummte der Gesang dieses Flötenvogels, und nun war nichts mehr zu hören als das Rauschen des Windes in den Ahornzweigen. Die Maus hatte sich nicht mehr gezeigt und war wohl schon längst auf dem Heimweg. Ob der Falke versuchen würde, sich an ihr zu rächen? Jedenfalls würde sie gut daran tun, sich vor ihm in acht zu nehmen. Ein bemerkenswerter Vogel war das gewesen, selbst in seiner rasenden Wut noch schön mit seinen smaragdgrünen Augen. Böse und schön zugleich. Und während er sich diesen Falken noch vorzustellen suchte, war da schon eine Stube mit einem breiten, von einem gestickten Überwurf bedeckten Bett, einer geschnitzten Truhe an der Wand und einem geschliffenen Spiegel darüber. Vor dem einzigen Fenster des Raumes, durch das man hinausblickte auf grünes Buschwerk, Erlen, Holunder und Birken, stand ein kleiner Tisch, und neben dem Tisch stand ein Mädchen oder eine junge Frau und blickte ihn mit ihren grünen Augen an. Oder blickte sie durch ihn hindurch? Es war offensichtlich, daß sie dort niemanden sah, wo sie hinblickte, denn als jetzt draußen Lärm aufkam, Pferdegetrappel und gellendes Geschrei, lief sie dicht an ihm vorbei durch eine offene Tür und weiter durch eine zweite hinüber in das gegenüberliegende Zimmer. Er sah sie jetzt dort am Fenster stehen und auf einen Platz hinunterschauen, über den in wildem Galopp Reiter sprengten, denen strähnige Zöpfe um die Schläfen flogen. Mitten auf dem Platz stand eine altersgraue Blockhütte, und die Reiter umkreisten sie, schwangen ihre Krummschwerter und hieben jeden nieder, der ihnen in den Weg lief.
Die Grünäugige stieß einen erstickten Schrei aus und preßte sofort die Faust gegen den Mund, als könne sie diesen verräterischen Schrei damit in den Hals zurückstoßen. Dann drehte sie sich um, lief zurück in ihr Zimmer und schloß die Tür. Ihr Gesicht war verzerrt vor Wut. Oder vor Angst? Sie riß den Deckel der Truhe auf und kramte mit fliegenden Händen ein paar Dinge hervor, wickelte sie in ein Tuch und schickte sich an, aus dem Fenster zu klettern. Doch da preschte einer der Reiter um die Ecke, ritt unter dem Fenster vorüber und schleuderte eine brennende Pechfackel aufs Dach. Die Grünäugige warf sich zurück ins Zimmer, und währenddessen wurde schon dröhnend gegen die Haustür geschlagen. Die Grünäugige blickte sich um wie ein Tier, das in der Falle sitzt. Sie hastete zu dem Tisch beim Fenster, breitete das Tuch auf ihm aus, und da lagen nun die Dinge, die sie in Sicherheit hatte bringen wollen: ein Ring, an dem ein großer Smaragd in der Fassung von der Gestalt eines Falkenkopfes funkelte, eine feingliedrige goldene Halskette und als drittes der Stein. Woher hatte sie ihn nur? Es war ohne Zweifel derselbe Stein, den die Mäuse dem Falken abgejagt hatten.
Die Grünäugige stand zögernd vor dem Tisch und schaute auf die drei Dinge, als könne sie sich nicht entscheiden, was nun zu tun sei. Im Dachstuhl über der Stube hörte man das Feuer prasseln, Rauch quoll durch die Ritzen zwischen den Deckenbalken, Funken rieselten herab, und an manchen Stellen begann sich der Brand schon durchzufressen. Zugleich barst mit splitterndem Krachen die Haustür unter den Schlägen der Reiter. Da besann
Weitere Kostenlose Bücher