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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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sich die Grünäugige nicht länger. Sie raffte die Halskette vom Tisch, legte sie sich um den Nacken, und während sie sich über den Tisch beugte und den Verschluß vorn zusammennestelte, schrumpfte unversehens ihre Gestalt so rasch, daß man diese Verwandlung, die mit ihr vorging, kaum beobachten konnte. Wo eben noch blasse Haut zu sehen war, deckte den Körper jetzt braunes Gefieder, und im nächsten Augenblick saß auf dem Tisch inmitten der Kette ein Falke und spähte mit seinen grünen Augen zur Tür. Doch die war noch geschlossen, wenn man die Plünderer auch schon hören konnte, die unten im Haus Möbel umstießen und Truhen aufbrachen.
    Inzwischen schlugen schon die Flammen von oben ins Zimmer und drohten, dem Falken das Gefieder zu versengen. Da packte er den Stein mit dem Schnabel und flog zum Fenster hinaus. Von außen konnte man sehen, wie weit der Brand sich schon in das Haus gefressen hatte (es erstaunte ihn durchaus nicht, daß er dieses Haus jetzt von außen sah). Das ganze Gebäude war in Flammen gehüllt, und es war zu verwundern, daß der Falke sich überhaupt noch ins Freie hatte retten können. Er flog pfeilschnell dicht über die Wipfel der Erlen und Birken bis zu einer alten Eiche, deren knorriger Stamm alle anderen Bäume ringsum überragte, und landete in einer Gabelung von mannsstarken Ästen. Vielleicht hatte er hier seinen Beobachtungsplatz, denn von dieser Stelle aus konnte man das ganze Dorf überblicken und auch noch weit hinaus in die Steppe schauen. Doch dafür hatte der Falke jetzt keine Zeit. Er verbarg den Stein in einer Höhlung zwischen den Ästen, schwang sich wieder hinaus in die Luft und flog eilends zurück. Möglicherweise hatte er vorgehabt, auch noch die anderen Kostbarkeiten in Sicherheit zu bringen, doch als er das Haus erreichte, krachte eben der Dachstuhl zusammen und zerschmetterte unter sich bis zur halben Höhe die Hauswand mit dem Fenster, hinter dem die Schmucksachen lagen. Der Falke schrie gellend auf und versuchte, auf irgend eine andere Weise in das Haus zu gelangen, doch all seine Mühe war vergebens; wo überhaupt noch ein Zugang offen stand, schlugen die hellen Flammen heraus. Mit angesengten Flügeln und geschwärzt von Ruß und Rauch flatterte er schließlich zurück zu der Eiche und schaute zu, wie das Dorf brannte.
    Nach einer Weile schlich unten ein großer Hund durchs Gebüsch und blieb knurrend stehen, als er den Falken auf der Eiche sitzen sah. »Gefällt dir das, Narzia«, rief er zu dem Falken hinauf, »wie dein Dorf abbrennt und deine Leute erschlagen werden? Du hast dich ja retten können. Ich habe gesehen, wie du aus deinem Fenster geflogen bist, und Arnis Stein hast du auch mitgenommen. Vielleicht wäre das alles nicht geschehen, wenn du ihn in Arnis Hütte auf seiner Goldschale hättest liegen lassen. Aber du bist ja so versessen auf solche Zauberdinge, daß du ihn für dich haben wolltest.«
    »Halt dein Maul, du Schwätzer!« rief der Falke böse. »Was verstehst denn du von solchen Sachen! Dieser Stein ist mir mehr wert als die paar Leute, die jetzt dort unten zwischen den Häusern liegen!«
    »Was bist du doch für eine eigensüchtige, grausame Närrin!« rief der Hund. »Deine Worte zeigen nur, daß du nie verstanden hast, was dieser Stein bedeutet.« Er stieß ein rauhes, bellendes Lachen aus und fuhr dann fort: »So viel weiß ich immerhin von diesem Stein, daß er jedem Unglück bringt, der ihn unrechtmäßig an sich genommen hat. Deine Zauberkette hattest du, soviel ich gesehen habe, nicht bei dir, als du geflohen bist. Die schmort jetzt wohl schon im Feuer, und wenn das Haus niedergebrannt ist, wird sie nicht mehr zu finden sein. Jetzt kannst du sehen, was dir dieser Stein eingebracht hat: Du wirst so bleiben müssen, wie du jetzt bist, ein einsamer Falke unter dem Himmel. Nun hat dich das gleiche getroffen, was du mir und deinen anderen Hunden angetan hast.«
    »Gebell eines Hundes!« schrie der Falke. »Schau nur, wie hoch ich mich über dich und deinesgleichen erhebe!« Dann packte er den Stein mit dem Schnabel, breitete seine Schwingen aus und schraubte sich hoch hinauf in den Himmel, bis Steppe, Wälder und Gebirge weit unter ihm lagen wie ein grau und grün gefleckter Teppich, der sich an manchen Stellen ein wenig kräuselte und aufwölbte. Irgendwo zwischen hellem und dunklem Grün wölkte ein wenig Rauch auf, kaum noch als eine leichte Trübung zu erkennen und ohne Bedeutung für den Falken, der rasch nach Norden davonzog

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